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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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gar nicht, versuchte sie sich zu trösten, und jetzt brauchst du sie sowieso nicht. Nun ging es darum herauszufinden, was ihre Großmutter mit dem Lied gewollt hatte.
    Nirina fing an, unruhig vor sich hin zu quäken, und um ihn abzulenken, begann Paula, ihm das Lied leise vorzusingen. Er wurde sofort still, sah Paula mit großen, glänzenden Augen an und griff mit seinen Händchen nach Paulas Gesicht. Sie beugte sich näher zu ihm und kitzelte ihn ein wenig, was ihn noch mehr entzückte, er begann zu glucksen.
    Sie setzte sich wieder auf und sah in den Brief, aber das gefiel dem Kleinen nicht. Er protestierte wimmernd, und Paula begann erneut »Kuckuck, Kuckuck« zu singen, und diesmal fiel ihr Blick dabei auf die Noten.

    Unfassbar! Das waren überhaupt nicht die Noten zu diesem Lied. Die müssten so aussehen:

    Aber es waren die Noten C F C G F G E C G.
    Vielleicht die Melodie eines anderen Liedes? Das war ein Anfang, Paula spürte, dass sie auf etwas Wichtiges gestoßen war. Sie fühlte sich ganz kribbelig, nahm Nirina auf den Arm, band ihn sich um, nahm den Brief in die rechte Hand und ging los. Im Gehen könnte sie vielleicht besser denken.
    Sie lief über das dürre Land ihrer Großmutter, hin zu den Ravenalapalmen und weiter zum Meer.
    Welche Noten für welches Lied könnten das sein, und warum sollte Mathilde so etwas tun? Sie hatte doch gar nicht so viel Zeit gehabt, sich etwas derart Kompliziertes auszudenken. Im Gegenteil, sie war unter Zeitdruck gestanden, es musste also etwas sein, das für ihre Großmutter naheliegend gewesen war.
    Je näher sie dem Meer kam, desto lauter wurde die Brandung. Die vielen in der späten Nachmittagssonne aufblitzenden gekräuselten Wasserspitzen vereinten sich kurz vor dem Ufer zu einer langen, schnurgeraden Welle, die sich wie auf Kommando donnernd am Strand überschlug.
    Nirina wirkte nervös von dem ungewohnten Lärm, Paula flüsterte ihm beruhigende Worte zu, lief jedoch trotzdem vor bis an die Wassergrenze. Dort bückte sie sich, um die Schuhe auszuziehen, was mit Nirina im Arm nicht so leicht war.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    Sie hatte Villeneuve gar nicht bemerkt, aber dann erkannte sie an der Fußspur im nassen Sand, dass er offenbar auch am Ufer entlanggegangen war. Er war barfuß, die Hosen hatte er bis über die Knie aufgekrempelt, sodass Paula seine extrem breiten und kräftigen Waden sehen konnte. Der Anblick lenkte sie für einen Moment sogar von den Rätseln ihrer Großmutter ab. Sie reichte ihm Nirina, um ihre Schnürsenkel aufzubinden.
    Eduards Beine waren dünner als ihre eigenen gewesen, was ihr sehr merkwürdig vorgekommen war, denn seine Schwefelholzbeinchen hatten einen gewaltigen Oberkörper tragen müssen, und wenn er nicht ständig halb nackt im Haus herumgelaufen wäre, wäre ihr dieses Missverhältnis vielleicht nie aufgefallen. Damals hatte der Anblick der dünnen Beine mit dem riesigen Kugelbauch, der bis über seine Geschlechtsorgane hing und sie verdeckte, Paula abwechselnd angewidert oder geängstigt. Aber jetzt brachte der Anblick von Villeneuves kräftigen Waden ein breites Lächeln auf ihr Gesicht, weil ihr klar wurde, was für ein elender Gockel ihr Mann gewesen war. Trotz allem, was er ihr angetan hatte, war er nicht viel mehr als ein lächerlicher alter Gockel. Krankhaft davon besessen, mit knapp sechzig Jahren einen männlichen Erben zu zeugen, war er nur deshalb bereit gewesen, Paula zu heiraten, weil er sie als Jungfrau zur Mutter seiner Kinder auserwählt hatte. Ihre schmale Zartheit, die ihm vor der Eheschließung so anziehend vorgekommen war, war ihm während der Wartezeit auf einen Erben geradezu als Fluch erschienen. Und das hatte er Paula deutlich gemacht, indem er nur notdürftig mit einem Morgenmantel bedeckt herumgelaufen war, wie um zu demonstrieren, dass mit seinem Körper alles in Ordnung war.
    Was für ein Witz, da musste sie nur ein paar fremde Waden betrachten, um dieses Horrorgespenst endlich aus ihrem Herzen zu löschen. Anstatt ihre Schnürsenkel zu lösen und die Schuhe auszuziehen, starrte sie immer wieder auf Villeneuves Waden, und schließlich fiel sie auf die Knie und lachte hemmungslos.
    Höchste Zeit, dachte sie und kicherte nun wie ein junges Mädchen. Das hätte sie schon längst tun sollen, einfach einmal über ihren greisen Exmann lachen, anstatt ihn zu verteufeln, vor allem jetzt, wo er doch wirklich keine Macht mehr über sie hatte.
    Villeneuve ließ sich mit Nirina auf dem Arm neben sie in den pudrigen

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