Die Insel des Mondes
das alles nicht so stark verschlüsselt haben konnte, denn dazu hatte sie keine Zeit gehabt, oder hatte sie das etwa schon lange vorbereitet?
Neben dem Feuer stand eine geschnitzte Holzplatte mit kleinen Reisküchlein, getrockneten Bananen, gefüllten klei nen Paprikaschoten und gebratenen Flusskrebsen. Bei diesem appetitlichen Anblick lief Paula das Wasser im Mund zusammen. »Was ist das denn?«
»Ein Willkommensgeschenk von Madame Rakotovao, speziell für Sie, zum Gedenken an Ihre Großmutter, deshalb haben wir es noch nicht angerührt.«
»Bitte bedienen Sie sich.« Paula bückte sich, nahm einen Flusskrebs, brach den Panzer auf und aß ihn mit großem Genuss. Seit sie den Krokodilen entkommen war, hatte sie ständig Hunger, aber ihre Vorräte waren so stark geschmolzen, dass es in den letzten Tagen immer nur Reis mit Gemüse zu Essen gegeben hatte.
Jetzt gesellte sich auch Villeneuve zu ihnen, schweigend setzte er sich und begann unaufgefordert ebenfalls zu essen.
Je leerer die lange rechteckige Platte wurde, desto mehr konnte man sehen, wie prächtig sie mit Schnitzereien verziert war. Noria erklärte ihnen, dass es sich um die madagassische Legende von Ranoro, der Wasserfrau, handelte, die aus Liebe zu ihrem Mann eine richtige Frau wurde. Allerdings unter der Bedingung, dass er niemals das Wort »Salz« in ihrer Gegenwart erwähnte, was er im Zorn dann doch eines Tages tat und sie so für immer verlor. Ganz außen war die Holzplatte mit vertikal untereinander stehenden Buchstaben verziert, rechts stand:
»Mamy ny aina«, was, wie Noria erklärte, »Das Leben ist schön« bedeutete, und links war »Rakotovao«, der Familienname der Dorfältesten, in das Holz geschnitzt.
Der Anblick der untereinanderstehenden Buchstaben brachte etwas in Paula zum Klingeln. Vielleicht ging es gar nicht um das Duftrezept, vielleicht hatte ihre Großmutter, genau wie Morten vermutet hatte, hier nur den Hinweis auf einen Ort versteckt.
Sie stand auf, rannte zu ihrem Zelt, holte sich ihr Notizbuch und einen Bleistift und zog Mathildes Brief aus der Ledertasche, die sie wie immer über der Schulter trug.
Rose
Ambra
Campher
Orangenblüte
Tuberose
Orangenblüte
Verbene
Ananas
Orangenblüte
Die Anfangsbuchstaben ergaben den Namen der Dorfältesten, Rakotovao, wenn man das C als K las. Paula nahm sich den Brief noch einmal vor:
… Mein Parfüm sollte Edmond weltweit vor der Vergessenheit bewahren und unserer Liebe ein Denkmal setzen. Gold gibt es überall auf der Welt, unser Parfüm aber würde einzigartig sein. Außerdem fürchtete ich mich davor, wegen des Goldes in Schwierigkeiten zu kommen, deshalb nutzte ich die Bräuche dieses Landes und versteckte mein Rezept, das Gold und die Beschreibung des Fundortes in einer Van Houten-Blechdose, dort, wo niemand danach suchen wird …
Die Bräuche des Landes nutzen und dort verstecken, wo niemand danach suchen wird. Rakotovao. Orte, die überall Fady sind, das sind Gräber. Also meinte sie das Familiengrab der Rakotovao? Den Namen hatte Mathilde vorher schon einmal erwähnt, das war der Dadarabee, der wütend auf sie gewesen war, weil sie den Dorfbewohnern bei kleineren Leiden mit ihren Kräutern und Ölen geholfen und so seine Autorität untergraben hatte. Um Paulas Lippen zuckte ein Lächeln, das hätte zu dem Verständnis ihrer Großmutter von Gerechtigkeit gepasst, ausgerechnet dort ihre Informationen zu verstecken.
Aber wie sollte sie da herankommen? Das letzte Mal, als sie ein Fady gebrochen hatte, war Lázló gestorben. Sie wollte keine weiteren Toten. Sie musste es also ganz allein tun.
Herausfinden, wo das Grab sich befand, denn hier auf Ma dagaskar gab es nicht wirklich Friedhöfe, jeder konnte dort, wo es ihm gefiel, jemanden bestatten und, wenn er genug Geld hatte, eine steinerne Familiengruft anlegen. Außer dem musste sie es in der Nacht tun, wenn alle schliefen, sonst würde sie das ganze Dorf gegen sich aufbringen.
Ihr Plan begann Gestalt anzunehmen. Sie würde das Grab schnell öffnen und durchsuchen müssen, dazu bräuchte sie Licht, dann musste der Eingang wieder gut verschlossen werden. Hierfür wurden bei den meisten Gräbern schwere Steinplatten verwendet. Herzlichen Glückwunsch, Paula, gratulierte ihre innere Stimme, dass du das allein schaffst, ist so wahrscheinlich, wie ein Kamel durch ein Nadelöhr geht. Es fing schon damit an, dass keine Namen auf den Gräbern standen. Sie brauchte also Noria, damit sie heraus finden konnte, welches das
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