Die Insel des Mondes
hatte mich gewarnt, denn er war jedes Mal, wenn er neue Schulden gemacht hatte, zu Besuch bei Maria, um sich wieder Geld von ihr zu leihen. Und einmal hat er sie bei dieser Gelegenheit zu einer Séance mitgenommen, wo sie dann diesen Scharlatan kennengelernt hat. Und ihre Einsamkeit hat sie dann vollends dem Mesmerismus in die Arme getrieben.«
»Mesmer, war das nicht dieser Arzt, der Krankheiten mit Handauflegen geheilt hat, weil er so die magnetischen Ströme im Körper wieder in Fluss gebracht hat?«
»Genau, Mesmer selbst war schon tot, doch leider hatte in Paris einer seiner Schüler, Armand Marie Jacques de Chastenet de Puységur, eine Art Institut gegründet, und Maria wiederum fiel einem Jünger von Puységur zum Opfer. Ich hätte sie vielleicht mit einer ordentlichen Liegekur in Davos noch retten können, aber sie war diesem widerwärtigen Scharlatan vollends verfallen und wollte nicht mehr auf mich hören. Und so musste ich mit ansehen, wie sie und Zoltan immer weniger wurden.«
Er ließ sich nach hinten in den Sand fallen. Seine flatternde Bauchdecke verriet, wie heftig er atmete, und Paula war versucht, ihre Hand darauf zu legen, um ihn zu trösten. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, senkte sie zu seinem Hemd und überlegte fieberhaft, was sie sagen könnte. Aber alles, was ihr einfiel, klang in ihren eigenen Ohren platt und banal. Eine Geste wäre besser als Worte. Sie zitterte am ganzen Körper, aber dann tat sie es und legte ihre Handfläche auf seinen Bauch, der sofort abwehrend hart wurde. »Aber es ist doch nicht Ihre Schuld, dass Maria gestorben ist.« Sie gab sich große Mühe, überzeugend zu klingen.
»Nein, natürlich war es nicht meine Schuld«, er äffte sie nach, richtete sich wütend wieder auf, packte ihre Hand und schleuderte sie weg, »vielleicht wäre Maria ja so oder so gestorben!«
Paulas Herz begann zu rasen, falsch, falsch, falsch. Das hätte sie nicht tun sollen.
»Ich brauche keinen billigen Trost. Von niemandem!«, schäumte er. »Meine Frau hat ihr ganzes Leben aufgegeben, um mit mir zusammen zu sein – sie ist von zu Hause weggelaufen, um mich zu heiraten. Ihre Eltern haben nie wieder ein Wort mit ihr gewechselt, nur Lázló. Was ich getan habe, war verantwortungslos.« Er klang wieder so harsch wie zu Beginn ihrer Reise, und obwohl sich Paula fühlte wie eine Närrin, war ihr klar, dass er nur so heftig reagierte, weil er es bereute, sich ihr anvertraut zu haben. Er stand auf und nahm auch Nirina hoch. »Wenn Sie wollen, nehme ich ihn mit zum Baden. Ich muss jetzt eine Weile allein sein und mich von dem Geschwätz erholen.«
»Vielleicht ist Ihre Frau vielmehr an Ihrer unmensch lichen Grobheit zugrunde gegangen als an der Schwindsucht. Und dagegen werden Sie nie irgendwelche Kräuter finden. Nir gends!« Paula sprang auf, ließ ihre Schuhe, wo sie waren, und rannte weg. Sie verwünschte sich selbst, verwünschte den Impuls, der sie verleitet hatte, ihre Hand auf seinen Bauch zu legen. Sie rannte den einsamen Strand entlang, bis eine Kokospalme ihren Weg kreuzte, deren Stamm sich bis ins Meer hinunter neigte. Sie setzte sich und starrte auf den türkisblauen Indischen Ozean, der nun fast ruhig dalag, weshalb nur noch kleine murmelnde Wellen das Ufer liebkosten.
Warum klagst du dich an, meldete sich ihre innere Stimme, du solltest diesen Grobian anklagen, du warst mutig und freundlich. Wenn er damit nicht umgehen kann, dann ist das nicht demütigend für dich, sondern eine Schande für ihn. Sie bückte sich nach einer Muschel, die mit Seepocken übersät war, innen jedoch wunderschön blau leuchtete.
So blau wie Lapislazuli.
Blau wie die Schmetterlinge im Dschungel, wie Mathildes Flakons. Deshalb war sie hier, nicht wegen Männern. Sie glättete den Brief, den sie beim Wegrennen zerknüllt hatte, um ihn noch einmal zu lesen. Wie sehr ihre Großmutter Edmond geliebt haben musste, wie unfassbar mutig es von ihr gewesen war, auf ihn zuzugehen. Vielleicht wäre Mat hilde eben nicht gleich weggelaufen. Ich übe noch, ich übe noch. Sie lächelte und versenkte sich wieder in den letzten Teil des Briefes.
Also, die Noten gehörten nicht zum Kuckucks-Lied. Da für gab es eine Erklärung, und die würde sie finden. Mathilde hatte sich ihr ganzes Leben mit Duft beschäftigt. Womöglich war »Kuckuck« einfach nur das einzige Lied, das sie hatte singen können, und der Inhalt des Textes war von keinerlei Bedeutung für Paulas Suche.
Dann blieben die Noten – o Gott, es war
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