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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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Ihre Hände müssen die ganze Zeit deutlich zu sehen sein. Und auch er muss uns seine Hände zeigen. Wir wollen kein Risiko eingehen und die Götter durch Manipulation betrügen!« Rakotovao verlagerte ihren starren Blick auf etwas, das sich hinter Paula befand.
    Paula drehte sich langsam um und sah Villeneuve auf sich zukommen. Er war wie sie, allerdings erst von der Taille abwärts, mit einem weißen Lamba bekleidet und hielt die muskelbepackten, nackten Arme weit zur Seite gestreckt, was an jedem anderen Mann und an jedem anderen Ort der Welt lächerlich gewirkt hätte. Das träume ich nun aber doch, überlegte sie, das ist ein schönes, aber grausames Geschenk meiner Fantasie, die mir den Tod mit dem Anblick seines nackten Oberkörpers versüßen will, nur weil er mir im strömenden Regen so gut gefallen hat. Seinerzeit, als wir darauf gewartet haben, dass sich das Tor von Ambohimanga für uns öffnet.
    Ihr Traumbild kam Schritt für Schritt näher, wie damals, mit seinem muskulösen, glatten Bauch, aber seine Wangen waren eingefallen, und er biss sich auf die Lippen, was ihn grimmig wirken ließ. Er war rasiert, aber seine Haare hingen trotzig um sein Gesicht, und seine braungrünen Augen lagen tief in ihren Höhlen. Das alles, zusammen mit dem nackten Oberkörper, ließ ihn wie einen Piraten auf Beutesuche wirken. Sie atmete schneller, ein Funken Hoffnung entzündete ihr Herz. Er sah aus wie ein gefährlicher Pirat.
    Seine Augen suchten ihren Blick, hielten ihn fest, und wollten ihr mit großer Dringlichkeit etwas sagen, aber sie wurde nicht schlau daraus. Unwillkürlich senkte sie den Kopf und betrachtete seine breite behaarte Brust, die sich hektisch hob und senkte, was nicht zu seinen langsamen Schritten passte. Sie vermisste das schwere silberne Kreuz, das er immer um den Hals getragen hatte, aber vielleicht hatte er es abgenommen, um niemanden zu provozieren.
    Seine Lippen zuckten und wirkten viel blasser als sonst. Er blieb dicht vor ihr stehen. Wie er wohl heute roch? Paula streckte die Hand aus, um dieses Trugbild anzufassen, aber es ging sofort ein bösartiges Raunen durch die Menge, und sie zog ihre Hand zurück.
    »Träume ich das, oder sind Sie echt und gekommen, nur um mich sterben zu sehen?«, flüsterte sie. »Wo waren Sie die ganze Zeit, während ich gefangen war? Warum kommen Sie verdammt noch mal erst jetzt? Jetzt ist es zu spät!«
    »Seien Sie still, und hören Sie mir zu. Wir haben nicht viel Zeit.«
    Er klang anders als sonst, er nuschelte. Ob sie ihm Drogen gegeben hatten?
    »Wir dürfen uns zwar nicht berühren, damit ich Ihnen keine präparierte Hühnerhaut zustecken kann, aber man hat mir erlaubt, Sie zu küssen.« Er grinste nicht. Er sah vielmehr so blass und elend unter der sonnengebräunten Haut aus, als müsste er selbst gleich sterben.
    »Ich habe fünf Cherimoyakerne unter meiner Zunge ver steckt, die müssen Sie sofort zerkauen, wenn ich wieder gehe. Das wird ihren Körper dazu bringen, diese vergifteten Hühnerhäute unverzüglich auszuspucken.«
    Paula war versucht, sich in den Arm zu zwicken, um aus diesem Albtraum zu erwachen. Sie sollte ihn küssen, jetzt und hier? Aber sein Blick hielt sie fest, umarmte sie.
    »Wir müssen uns beeilen, und verschlucken Sie die Kerne nicht, sonst wirken sie nicht. Sie müssen sie zerbeißen, aber im Durchbeißen sind Sie ja gut.« Und da zuckte plötzlich ein zaghaftes Lächeln über seine blassen Lippen. »Ich habe mir unseren ersten Kuss wirklich anders vorgestellt, aber ich hatte keine Wahl. Es tut mir leid, dass es keinen anderen Weg gibt.«
    Er sah zu Rakotovao hinüber, die ihnen zunickte.
    »Jetzt!«
    Villeneuve drückte seine Lippen zart auf Paulas, und als sie sich berührten, lief ein Schauer über Paulas Rücken. Sie rang nach Luft, darauf war sie nicht vorbereitet gewesen. Sein Mund fühlte sich samtig weich an, und doch elektri sierte er Paula so, dass ihr schwindelig wurde. Sie schloss ihre Augen, sperrte die andern aus und war mit ihm allein. Paula erwiderte seinen Kuss voller Verzweiflung, nicht weil es ihr letzter Kuss sein könnte, sondern weil sie spürte, dass es der erste echte Kuss ihres Lebens war.
    Seine Zungenspitze berührte ihre Lippen, suchte sich einen Weg in ihren Mund. Paula musste ihre Beine weiter auseinanderstellen, um nicht umzufallen, und wünschte sich, dieser Kuss würde nie enden. Wie viel Zeit hatten sie verschwendet mit sinnlosen Wortgefechten! Sie öffnete ihren Mund, spürte seine Zunge an ihrer,

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