Die Insel des Mondes
was in ihrem Körper den Wunsch auslöste, ihn zu umarmen, näher an ihn heranzurücken, aber als sie einen Schritt zu ihm hin machte, brach sofort ein empörter Sturm los. Sie riss die Augen auf, sah all die Menschen um sie herum und schaffte es nicht länger, die Wirklichkeit zu vergessen. Ihre offenen Augen blickten direkt in seine, die so nah und so groß waren und sie so liebevoll ansahen, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.
Sie trat wieder etwas zurück, ohne ihren Mund von ihm zu lösen, plötzlich fühlte sie die Kerne auf ihrer Zunge und schob sie zur Seite.
»Genug!«, kommandierte Rakotovao und kam näher.
»Sofort gut zerkauen, so, dass es niemand sieht«, murmelte er schnell, während er ihr Gesicht mit seinen Augen streichelte. Sie zerbiss die Samen. »Alles wird gut werden«, sagte er und lächelte jetzt viel zuversichtlicher als zuvor. »Jedenfalls, wenn wir das überleben.«
Rakotovao drängte sich zwischen sie und winkte zwei Speerträgern, di e Villeneuve wegführten.
Werde ich ihn je wiedersehen?, fragte sich Paula und wischte ihre Augen trocken, während sich ein bitterer Geschmack in ihrem Mund ausbreitete.
Bitter? Zum ersten Mal seitdem ihre Nase verletzt war, schmeckte sie etwas. Rakotovao führte Paula zu dem Tisch unter dem Mangobaum, wo die drei mit Gift bestreuten Häute schon zusammengerollt lagen und eine Kalebasse bereitstand. Es war wieder totenstill, nur im Mangobaum raschelte es leise. Einen Moment lang hatte Paula wieder die Vision, dass dort oben ihre Retter mit einem Seil hockten und sie hinaufziehen würden, bevor sie das tödliche Gift verschlucken musste. Unsinn, machte sie sich klar, Villeneuve war eben hier und hat dich geküsst, du fängst wieder an zu halluzinieren. Du bist nun ganz allein auf dich gestellt.
Das Bittere in ihrem Mund wurde jetzt pelzig, hoffentlich war das ein gutes Zeichen. Paulas Knie zitterten im gleichen Takt, wie ihr Herz hämmerte. Sie spürte, wie es in ihrem Magen zu gurgeln begann. Ihre Augen suchten nach Villeneuve, aber sie konnte ihn nirgends mehr entdecken.
Rakotovao breitete ihre Arme aus und rief etwas, das Paula nicht verstand, aber eine Gänsehaut auf ihrem Rücken verursachte. Die Zuschauer erhoben sich daraufhin und begannen rhythmisch in die Hände zu klatschen und dazu zu singen.
Dann plötzlich ertönte ein Trommelfeuer, das Paulas Puls noch einmal weiter antrieb, jeden klaren Gedanken aus ihrem Kopf jagte und durch lautes Pulsieren ersetzte.
Nach einem gewaltigen Schlussakkord verstummten wie der alle, und Rakotovao reichte Paula das erste Stückchen Hühnerhaut. Sie musste die Hühnerteile einzeln mit Reiswasser herunterwürgen, und mit großer Freude bemerkte sie, wie ihr mit jedem Mal, wenn das Wasser in ihrem Bauch ankam, schlechter wurde.
Nachdem sie das letzte verschluckt hatte, war ihr schon reichlich übel, und alles um sie herum begann sich zu drehen. Sie taumelte, was die Menge mit einem leisen Raunen kommentierte, und dann, just als sie sich vorbeugte, um sich zu erbrechen, sprang etwas auf ihre Schultern. Trotz ihres elenden Zustandes erkannte sie das Gewicht und die spitzen Krallen sofort. Es war der kleine Lemur, der ihr seit dem Krokodilfluss gefolgt war, und so sehr sie sich sonst über sein Auftauchen immer gefreut hatte, jetzt verstärkte er nur noch ihre Qualen. Sie versuchte ihn abzuschütteln, aber es gelang ihr nicht, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als sich mit dem Lemuren auf dem Rücken mit grauenhaften Bauchkrämpfen und nicht enden wollendem Würgreiz zu übergeben.
Währenddessen brach unglaublicher Tumult los, den Paula allerdings kaum bemerkte, weil ihr krampfender Körper ihre ganze Aufmerksamkeit benötigte. Erst nachdem sie fertig war und erschöpft zusammenbrach, sprang der Lemur endlich von ihrem Rücken und verschwand wieder in dem Mangobaum, an dessen Stamm sich Paula nun lehnte. Sie rang nach Luft und hielt sich die Nase zu, um nicht länger den Gestank ihres übel riechenden Mageninhaltes einatmen zu müssen, und es war ihr vollkommen gleichgültig, ob man die Hühnerhäute unversehrt finden würde. Sie hatte genug, das hier war die Krönung aller Demütigungen, die sie durchgemacht hatte. Es reichte, sie wollte einfach nur noch sterben.
Unsinn, meldete sich ihre innere Stimme, ein Wort mit u. Unsinn und noch dazu unsäglich übel riechend, sagte sie, hörst du, Paula, unfassbar übel riechender Unrat.
Über Paulas Gesicht lief ein ungläubiges Lächeln. Sie setzte
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