Die Insel des Mondes
sich aufrechter und atmete tief ein, wirklich, da war nicht nur Magensäure, sondern auch die staubige Erde, auf der sie saß, die leicht zimtige Rinde des Mangobaumes, sie roch den frischen Schweiß in ihren Kleidern und den noch unreifen Duft der Mangos über ihr, der sie an Brombeeren erinnerte. Die ganze Welt war zu ihr zurückgekommen.
Rakotovao beugte sich zu ihr, half ihr auf und zog sie zu dem Tisch, wo die drei ausgespienen vergifteten Häute lagen. Paula konnte nicht hinsehen, ihr war immer noch schlecht. Trotzdem bemerkte sie jetzt, wie aufgeregt alle waren. Man deutete auf sie, und jeder redete mit jedem.
Rakotovao hob die Arme, und es wurde still, aber nicht so totenstill wie zuvor, es blieb eine leichte Unruhe.
Die Dorfvorsteherin sagte leise zu Paula, dass die Götter sie für unschuldig hielten und sie daher frei sei. Dann erhob sie ihre Stimme und hielt eine Rede, an deren Ende alle jubelten, als wäre es der Beginn eines großen Festes.
Rakotovao grinste Paula an und teilte ihr mit, dass sie der Ehrengast auf ihrem Fest sei.
Aber das ging Paula alles viel zu schnell, tagelang hatte man sie gefangen gehalten, sie wie eine Schwerverbrecherin behandelt und ihr tödliches Gift gegeben, und nun sollte sie mit ihnen feiern?
»Das ist eine große Ehre, aber ich fühle mich ein wenig schwach«, sagte sie. »Wo ist mein Kind? Ich möchte mich hinlegen, und ich brauche dringend etwas zu trinken.«
Rakotovao winkte einem Speerträger, der auf ihr Zeichen eine Kalebasse mit Wasser für Paula brachte, das sie so gierig trank, dass sie sich verschluckte und husten musste. Rakotovao ließ die Kalebasse auffüllen und rief nach einer jungen Frau, die Paula Nirina überreichte, den man auch in frische Tücher gewickelt hatte und der sie gut gelaunt anstrahlte. Unwillkürlich lächelte Paula zurück, aber als sie mit ihm losgehen wollte, merkte sie, wie schwach sie sich fühlte. Schließlich hatte sie seit Tagen nichts gegessen. »Ich werde noch einen Moment mit meinem Sohn hierbleiben«, murmelte sie und setzte sich an den Mangobaum. Rakotovao zuckte mit den Schultern und ließ Paula allein.
Gierig sog sie Nirinas Duft ein, und sie war entzückt, als sie ihn sofort erkannte und zuordnen konnte. Da war er wieder, sein frischer Geruch, der zuerst an holzigen Tabak erinnerte, aber dann verströmte seine Haut diese Süße, die alles Bittere aus ihr herauszog, sie weich und sanft zurückließ. Oud. Sie drückte ihn an sich.
Ein Schatten fiel auf sie. Noch bevor sie hochsah, erkannte sie den Duft nach Wacholderbeeren, Zimt und Zypressen. Er trug nun ein Hemd über dem Lamba, aber er war nicht allein, Noria war bei ihm. Sie setzten sich rechts und links neben sie. Und obwohl Paula so viele Fragen an die beiden hatte, saßen sie schweigend und sahen zu, wie die Sonne sich aus dem Zenit dem Abend entgegen bewegte.
Schließlich räusperte sich Villeneuve und bestand darauf, dass sie alle dringend etwas essen müssten. Sie machten sich zu ihren Zelten auf, Noria und Villeneuve nahmen Paula in ihre Mitte und stützten sie, Villeneuve trug Nirina. Die Zelte wirkten ohne ihre Bewacher wie Fremdkörper auf dem verödeten Land. Sie halfen Paula beim Hinsetzen und machten sich daran, das Essen vorzubereiten. Paula fielen die Augen zu, sie schlief ein und wurde erst wieder wach, als das Essen fertig war, das sie schweigend einnahmen, als ob es für sie alle zu viel wäre, zu sprechen.
»Sie müssen noch etwas essen!« Villeneuve reichte Paula noch eines der gebratenen Reisküchlein, die Noria extra für sie zubereitet hatte.
»Ich kann nicht mehr.« Paula sah zu Noria, an die sie so viele Fragen hatte, aber Noria war wie stumm. Sie hatte Nirina mit Milchbrei gefüttert, wischte ihm gerade den Mund ab, stand auf und brachte ihn in das Hängebettchen aus Moskitonetzen, das Paula für ihn gebastelt hatte.
Paula und Villeneuve blieben allein zurück. Paula sah zu ihm hin, der Kuss hatte alles verändert, und sie wusste nicht, wie es jetzt weitergehen sollte. Zwischen ihnen herrschte eine unausgesprochene Spannung, die auch Noria zu merken schien, denn sie kam nicht zurück.
Villeneuve reichte Paula eine Platte mit frittierten Bananen, sie schüttelte den Kopf, aber dann drohte er, sie zu füttern wie Nirina. Deshalb nahm sie eine und knabberte lustlos daran herum, während sich merkwürdig aufgeladenes Schweigen ausbreitete.
»Was ist mit Ihrem silbernen Kreuz passiert?«, fragte sie endlich in die unangenehme
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