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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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Unscheinbarste: ein Körbchen mit der roten Erde Madagaskars. Da erkannte der weise Großvater, wer der beste zukünftige Herrscher sein würde.
    »Das hört sich an wie ein Märchen der Brüder Grimm«, bemerkte Morten gut gelaunt, und Paula wunderte sich, dass man ihm am nächsten Tag nie etwas von seinen exzessiven Rumgelagen anmerkte.
    »Woher kennt ein Mann wie du Märchen?«, fragte Lázló, so als ob Märchen etwas Unanständiges wären.
    Morten hustete plötzlich. »Meine Großmutter stammte aus Lüneburg und hat uns in den langen dunklen Nächten in Norwegen immer Märchen erzählt.« Wenn Morten Märchen sagte, klang es wie »Märrschchen«, was Paula unwiderstehlich fand. Sie hätte ihm stundenlang zuhören können.
    »Und ich mochte die von Grimm lieber als die von An dersen. Die deutschen Märchen nehmen wenigstens ein gutes Ende.«
    »Deshalb nennt man sie ja auch Märchen«, mischte sich Villeneuve ein. »Im wahren Leben gibt es nie ein gutes Ende.«
    »Wenn du mit deinem Schöpfer reinen Tisch gemacht hast, dann schon!« Morten klang ironisch und gar nicht wie ein Missionar.
    »Dieser ganze abergläubische Hokuspokus gehört abgeschafft!« Villeneuve lachte bitter. »Es gibt nur das, was sich wissenschaftlich nachweisen lässt. Nichts sonst. Gar nichts!«
    »So wie Sie reden, fürchte ich, wird das nichts mit dem Paradies.« Morten klang besorgt.
    »Geht mir weg mit dem Paradies, das gibt es so wenig wie die Hölle.« Lázló spuckte in den roten Staub, wie um seinen Standpunkt zu verdeutlichen. »Es gibt nur den Augenblick. Nichts sonst!«
    Die Hölle gibt es wohl, dachte Paula, aber dazu musste man nicht erst sterben. Die hatte sie schon erlebt, aber an ein Paradies glaubte sie auch nicht mehr.
    Plötzlich hörten sie laute, fröhliche Gesänge, die von verschiedenen hellen und tiefen Flöten, Trommeln und zarten Zithern begleitet wurden. Verblüfft blieb Paula mit ihren Reisegefährten stehen. »Was ist das?«, fragte sie Noria.
    »Das werden wir gleich sehen, aber für mich klingt es nach Famadihana, dem Fest der Totenumwendung, das man besonders hier im Hochland feiert.«
    In diesem Augenblick kam eine tanzende, singende und musizierende Menschenmenge um die Wegbiegung und winkte ihnen fröhlich zu. Sie traten zur Seite und beobachteten den Zug, in dessen Mitte etwas in Bastmatten Gehülltes von zwei Frauen und zwei Männern über deren Köpfen getragen wurde wie eine Reliquie. Unwillkürlich lächelte Paula, es war unmöglich, nicht von dieser festlichen Stimmung angesteckt zu werden. Als sie sich entfernt hatten und es wieder leiser geworden war, wollten alle wissen, was eine Totenumwendung war.
    »Ich habe Ihnen ja schon erklärt, wie wichtig die Ahnen für uns sind. Deshalb werden etwa alle zehn Jahre die Toten aus ihren Gräbern geholt, und ihre Knochen werden in neue prächtige Tücher gekleidet und in Bastmatten gewickelt. Dann tragen wir sie durchs Dorf und zeigen ihnen, was sich seit ihrem Tod getan hat, führen unseren Ahnen ihre Enkel oder die neuen Häuser vor. Dabei kommt die ganze Familie zusammen und feiert ein großes Fest.«
    »Was für ein schöner Brauch«, sagte Paula.
    »Reichlich unhygienisch«, ließ sich Villeneuve mit einem angewiderten Unterton vernehmen.
    »Aber so werden die Toten nicht vergessen«, meldete sich Lázló, und Paula bemerkte, dass er Villeneuve einen sehr sanften Blick zuwarf. Aber Villeneuve zog nur verächtlich seine Augenbraue hoch. »Tote sind tot. Alles andere ist lächerlicher Kinderglaube. Lasst uns weitergehen.«
    Eine halbe Stunde später blieb Noria etwas außer Atem stehen und deutete auf weit entfernte Hügel, die im grünblauen Dunst zu zittern schienen.
    »Wollen Sie noch etwas darüber wissen?«, fragte sie in die Runde.
    »Unbedingt«, sagte Villeneuve, und die anderen nickten. »Alles, was uns im Gespräch mit Ranavalona II. nützlich sein könnte.«
    »Gut, also Andrianapoinimerina …«, begann Noria.
    Paula hatte den Verdacht, es gefiel Noria, diesen unaussprechlichen Namen so oft und so schnell wie möglich zu sagen, sodass es Europäern unmöglich war, ihn zu erlernen.
    »Unter seiner Regierung von 1788 bis 1810 wurde das Reich der Merina immer größer, was er unter anderem dadurch bewerkstelligte, dass er zwölf Frauen aus zwölf verschiedenen Regionen heiratete und damit den Frieden unter den Provinzen sicherte.«
    »Und wie sicherte er den Frieden unter den zwölf Frauen?«, mischte sich Villeneuve ein, der direkt hinter ihnen

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