Die Insel des Mondes
Möglichkeiten, und nie konnte man sicher sein, ob die Komposition auch wirklich überzeugend war.
Sie war daher mehr als glücklich, als sie in einem Buch, das ihre Großmutter bei den Rezepturen immer wieder erwähnt hatte, etwas Interessantes entdeckte. Dort war beschrieben, dass man Düfte wie Noten zu einem Notenschlüssel anordnen konnte. Es gab Düfte zum G-Schlüssel und Düfte, die zum Bass- oder F-Schlüssel sortiert werden konnten.
Jeder Duft wurde zu einer Note, und so war es möglich, nach den Harmonieprinzipien der Musik wohlriechende Akkorde zu erzeugen. So bestand zum Beispiel ein Parfüm nach dem Akkord G aus:
G Pergalaria
G Platterbse
D Veilchen
F Tuberose
G Orangeblüten
B Eberraute
Paula hatte sich begeistert ins Komponieren gestürzt, doch nach dem Tod ihres Vaters war plötzlich alles dahin gewesen. Ihr wunderbarer Vater hatte sich als passionierter Spieler ent puppt, der sogar den Hof von Großmutter Josefa als Sicherheit für obskure Geschäfte hinterlegt hatte. Der Hof kam unter den Hammer, ebenso die Villa und die meisten Möbelstücke, und nur mithilfe von Johannes-Karl gelang es Paula, einige Gerätschaften aus der Kammer fortzuschaffen und bei einem Freund von Jo in Sicherheit zu bringen.
Für ihre Mutter brach die ganze Welt zusammen, sie war nach dem Tod ihres Mannes wie versteinert, und nur der kleine Gustav verhinderte, dass sie sich völlig gehen ließ.
Aber Paula hörte sie des Nachts immer wieder aufschluchzen und klagen.
Und als ob das alles noch nicht genug gewesen wäre, erlitt Jo, der sich angesichts der finanziellen Lage der Familie zur Armee gemeldet hatte, einen Reitunfall, der ihn ein Bein kostete und dienstuntauglich machte. Gegen seine schrecklichen Phantomschmerzen half ihm einzig und allein Morphium. Er geriet in völlige Abhängigkeit von der Droge, und alle Versuche von Paula, ihn zu anderen, weniger gefähr lichen Medikamenten zu überreden, scheiterten an seinen unerträglichen Schmerzen. Als Paula ihren geliebten Bruder eines Morgens tot in seinem Bett fand, brach sie völlig zusammen. Sie konnte und wollte nichts mehr essen und magerte stark ab. Erst als sie so schwach war, dass sie kaum noch laufen konnte, begann ihre Mutter aus ihrer Lethargie zu erwachen. Sie fütterte Paula mit Leckerbissen und fing dann an, sie herauszuputzen. Dafür versetzte sie sogar ihren Schmuck, als Erstes das Lapislazulicollier. Sie ließ für Paula übertrieben prächtige Ballkleider nähen und kümmerte sich darum, dass ihre Tochter ständig auf Bälle eingeladen wurde. Paulas immer noch knochige Figur wurde mit Polstern ausstaffiert, die Spitzenvolants und Seidenrosen strategisch um sie herum drapiert und ihr dunkles, störrisches Haar stundenlang mit Lockenscheren bearbeitet. Zuerst hatte sich Paula über die Zuwendung ihrer Mutter gefreut, bis ihr klar wurde, dass es ihrer Mutter nur darum ging, sie zu verheiraten. Schnellstmöglich und zwar nicht mit irgendwem, sondern mit einem reichen Mann, der sie alle aus dem Elend retten würde, ganz egal zu welchem Preis.
Paula schnupperte noch einmal an dem frischen Palmarosaöl, das ihr bei Schlafstörungen eigentlich immer half, kroch dann unter ihre Decke und schloss die Augen.
6
Campher, Kampfer
Man unterscheidet den Japancampher Laurus Camphora L. von dem Borneo- oder Sumatracampher, Dryobalanops Camphora L, der einen viel feineren, kräftig aromatischen, an Ambra erinnernden Geruch hat.
A m nächsten Tag brachen sie wie jeden Morgen mit dem
Sonnenaufgang um halb sechs, nach einer Schale Reis und Suppe, zu ihrer letzten Etappe auf.
Paula war erleichtert darüber, dass der Weg sie nun über eine weite Ebene mit Reisterrassen führte, an deren Ende sich Ambohimanga, der blaue Hügel, erhob. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto steiler wurde der Pfad, der sich schmal und steinig den Berg hinaufschlängelte.
Noria, die nach der nächtlichen Unterhaltung wie ausgewechselt wirkte, lief neben Paula her und erzählte ihr von dem heiligen König, der Ambohimanga erbaut hatte, Andrianapoinimerina. Der Legende nach hatte sein Großvater als erster erkannt, welches Potenzial in ihm verborgen war, obwohl er zwölf Enkel hatte, von denen jeder von königlichem Blut war. Eines Tages ließ der Großvater alle zwölf zu sich rufen. Er hatte die schönsten und verlockendsten Geschenke für seine Enkel aufgebaut, edle Waffen und Schmuckstücke, und ein jeder sollte eines für sich wählen.
Andrianapoinimerina nahm das
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