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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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und betrachtete mich so aufmerksam und hingebungsvoll wie seine Vanilleblüten, was mir ein wenig von meiner Selbstbeherrschung zurückgab.
    »Es ist gefährlich, die Aufmerksamkeit einer so klugen und schönen Frau auf sich zu ziehen«, sagte er im allerbesten Französisch und entwaffnete mich erneut. Gefährlich, o ja. Das gefiel mir.
Warum hatte ich mir eingebildet, dieser junge Mann müsste unterwürfig sein, nur weil er einmal ein Sklave gewesen war?
    »Also was wollen Sie von mir?«, fragte er, und ich wusste nicht, was ich antworten sollte, dachte nur an so alberne Sätze wie: »Ich möchte deine Vanilleblüte sein«.
    Er näherte sich mir ein paar Schritte, und sein Duft benebelte mich nun vollends. Er streckte seine Hände nach mir aus, und ich zögerte keine Sekunde, sah mich nicht um, ob uns jemand beobachtete, selbst wenn Du da gewesen wärst, ma petite chérie, ich hätte es getan. Ich musste meine Hände in seine legen. Sie waren hart, voller Schwielen, und seine Haut war trocken und schuppig. Und doch, es war vom ersten Moment, in dem sich unsere Fingerspitzen berührten, so, als ob wir ein Fleisch würden, sein Puls wurde meiner, mein Herzschlag wurde seiner, ich atmete durch ihn und er durch mich.
    Meine liebe Florence, ich wünsche Dir von Herzen, dass Du so etwas mit Deinem Gatten erlebt hast, und wenn nicht, dann musst Du alles tun, um den Menschen zu finden, der Deine andere Hälfte ist, mit dem zusammen Du Dich ganz fühlen kannst.
    Ich muss eine kleine Pause machen, ich bin es nicht mehr gewohnt, die Feder so lange zu halten.

18
    Kuro-moji
    Kuro-moji nennt man in Japan einen daselbst in den gebirgigen Tei len des Landes einheimischen, sehr verbreiteten Baum, lindera sericea L. Aus dem angenehm riechenden, grauweißen, seidenglänzenden Holze wird in Japan ein ätherisches dunkelgelbes Öl destilliert.
    P aula wachte davon auf, dass sie sich überall kratzte. Die
Ameisenbisse an den Armen, am Hals, im Gesicht und im Dekolleté waren über Nacht angeschwollen und juckten entsetzlich. Wenn ich eine Feile hätte, würde ich damit über die Haut schaben, dachte sie und wünschte sich wenigstens ein Stückchen rauen Stoff.
    Die aufgekratzten Hautstellen fingen an zu bluten, und sie versuchte sich zur Vernunft zu bringen. »Du musst sofort aufhören, wenn sich das in der feuchten Hitze entzündet, dann kannst du sterben!« Aber ihre Haut stand in Flammen, sie musste etwas tun. Sie stand auf und fiel dabei beinahe wieder hin, weil ihre Knie so zittrig waren. Sie musste an ihrem Vanilleöl riechen und sich beruhigen.
    »Hallo!«, rief Villeneuve von draußen, Paula sah an sich herunter, nur halb bekleidet, die Haut aufgekratzt. Es ist sowieso schon völlig egal, dachte sie, schraubte das Fläschchen auf, inhalierte es wie eine Süchtige und bemerkte mit Genugtuung, wie der vertraute Duft die tiefe, dunkle Wärme in ihr weckte, die ihr so guttat.
    Er kam herein, musterte Paula und schüttelte den Kopf.
    »Sie gehören ins Bett.«
    Paula schraubte das Fläschchen wieder zu. »Erstens gibt es hier kein Bett, und zweitens geht es mir gut, wir sollten uns auf den Weg machen. Was macht der Kleine?« In dem Moment, als sie nach dem Jungen fragte, spürte sie ein Ziehen in der Brust, und ihr wurde klar, dass sie es nicht verkraften würde, wenn das Kind doch noch starb.
    »Die Ameisen haben offensichtlich nicht so viel Gefallen an ihm gefunden wie an Ihnen. Sein Zustand ist zufriedenstellend. Aber Sie sollten diese offenen Wunden steril halten und bedecken.«
    Paula zuckte mit den Schultern, sie wusste, dass er recht hatte, aber sie wusste auch, dass Villeneuve nicht sehr viel Verbandsmaterial in seiner Arzttasche haben konnte und es Verschwendung wäre, es für so oberflächliche Wunden zu verwenden.
    »Wenn wir eine Aloe fänden, dann könnte ich den Saft auf die Wunden träufeln, das würde alles beruhigen. Und bis dahin kann ich Teebaumöl auf die Stellen tupfen, es wird schon gehen.«
    »Wir sollten hierbleiben und warten, ob die Träger nicht ihre Meinung ändern, in der Zwischenzeit kann ihre Haut ausheilen.«
    »Das halte ich für keine gute Idee.« Mortens vollbärtiger Kopf tauchte hinter Villeneuve auf.
    Villeneuve drehte sich zu ihm um. »Aber ohne Träger können wir nicht weiter.«
    »Sie werden nicht zurückkommen.« Noria schob Morten beiseite und trat mit dem Säugling auf dem Arm in das Zelt. Paula betrachtete ihn zum ersten Mal mit innerer Ruhe und ohne die verworrenen Gefühle von gestern.

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