Die Insel des Mondes
dachte sie, was tue ich hier? Neben mir liegen eine Leiche und ein schreiender Säugling. Wir haben Hunger, und diese Früchte, die Lázló den Tod gebracht haben, sind zum Greifen nahe, doch ich schaffe es nicht, sie herunterzuholen.
Eine Welle ungeheurer Wut durchströmte Paula, sie nahm einen neuen Anlauf und sprang mit dem Stock in der Hand hoch, mit dem Ergebnis, dass der Ast ihr aus der Hand fiel und sie sich den Knöchel verrenkte. Jo war dunkelrot im Gesicht vom Schreien, Tränen stürzten aus seinen Augen.
Paula hätte am liebsten auch geweint und sich zum Sterben neben Lázló gelegt, aber sie hatte Jo doch nicht aus dem Ameisenhaufen gerettet, um ihn jetzt verhungern zu lassen – denn das wäre, wie Lázló es sagen würde, höchst unnatürlich von ihr.
Paula suchte nach etwas, worauf sie klettern könnte, ein Baumstamm, ein großer Stein, irgendetwas. Aber da war nichts. Jos Schreien begann ihren Puls zu beschleunigen. Sie musste etwas tun, um ihn wenigstens einen Moment ruhigzustellen, sie musste nachdenken.
Sie schnürte das Bündel auf, das Lázló aus ihren Sachen gepackt hatte, suchte nach seiner Wasserflasche und schüttelte sie. Gott sei Dank, es war noch etwas darin. Sie flößte Jo das Wasser ein, was ihn genau so lange ruhigstellte, wie er das Wasser trank. Nachdem die Flasche leer war, fing er sofort wieder an zu schreien.
Böse Stimmen in ihrem Kopf schlugen vor, einfach wegzulaufen, das Kind und Lázló dort liegen zu lassen und das Weite zu suchen. Vielleicht sollte dieses Kind einfach sterben, vielleicht waren die Medizinmänner des Dorfes viel schlauer als sie und wussten, warum dieses Kind verflucht war und allen den Tod brachte.
Dieses Kind, bist du verrückt? Das ist Jo. Hör auf damit! Du hast die Verantwortung für ihn.
Sie setzte sich neben Lázló, schaukelte den Jungen, sah immer wieder hoch zu den Früchten und überlegte fieber haft, was sie tun sollte. Schließlich kam ihr ein Gedanke, doch sie verwarf ihn sofort. Aber dann wurde ihr klar, dass sie keine andere Chance hatte. Sie würde es ohne Nahrung sicher noch ein paar Tage aushalten, aber der kleine Jo würde sterben. »Lieben Sie!«, hatte Lázló gesagt, er würde es verstehen, er würde das gutheißen.
Paula suchte ein paar große Palmwedel und bastelte aus ihrem Moskitonetz und den Palmblättern eine provisorische Hängematte für Jo, hängte sie zwischen zwei Baumstämme und legte Jo dort hinein. Dann entschuldigte sie sich bei Lázló, zerrte ihn direkt an den Stamm und lehnte ihn dort an. Sie sah sich immer wieder nach Spinnen um, entdeckte aber keine. Schweiß floss ihr in Strömen über das Gesicht, während sie ihn auf die Knie brachte, dann legte sie seinen Oberkörper auf die Knie, sodass er in einer gebückten Hockstellung am Baum lehnte. »Verzeih mir, Lázló, bitte, ich tu es für Jo.« Danach griff sie sich den Ast und stützte sich an ihm ab, während sie auf den toten Lázló kletterte. Ihr verletzter Knöchel stach, und ihre Armmuskeln brannten. Dann hob sie den Stock mit ihrer ganzen Verzweiflung hoch zu den Früchten, und diesmal schaffte sie es! Etliche Früchte stützen zu Boden, und erst jetzt begriff Paula, wie groß sie waren. Wie gut, dass sie Jo in Sicherheit gebracht hatte.
Zwei der Früchte platzten auf, als sie zu Boden fielen, drei blieben unverletzt.
Sie sank auf Lázlós Leiche zusammen, er fühlte sich noch warm an und wirkte trotz der merkwürdigen Haltung, in die sie ihn gebracht hatte, immer noch so, als würde er sich nur ausruhen. »Danke, Lázló, danke, ohne dich hätte ich das niemals geschafft.«
Der Gestank nach süßlicher Verwesung lenkte ihre Aufmerksamkeit zu den Früchten. Warum rochen sie so, waren sie verdorben?
Sie kletterte von Lázló herunter und betrachtete die aufgeplatzten Früchte genauer. Unter der Schale lag gelbweißes Fruchtfleisch, durch Häutchen getrennt, in ovalen Kammern dicht an dicht. Helle, kidneybohnengroße Kerne schimmerten darin. Welchen Teil konnte man essen, alles, oder war etwas giftig?
Paula wollte das Fruchtfleisch herauslösen, doch es gelang ihr nicht, es war zu fest von den Häutchen umhüllt, außerdem klebten ihre Hände jetzt. Sie versuchte sie an den Blättern abzuwischen, aber ihre Finger pappten aneinander. Sie griff nach ihrem Buschmesser, trennte Fleisch aus den Kammern und stopfte es sich, vorsichtshalber ohne Kerne, in den Mund. Das feste Fruchtfleisch schmeckte köstlich, saftig und süß und erinnerte Paula ein
Weitere Kostenlose Bücher