Die Insel des Mondes
und ihre Haare aussahen, und lächelte. »Das scheint mir die einzig logische Erklärung! Denn nur ein verzweifelter Wolf würde über so eine Vogelscheuche herfallen.«
Sie sahen sich versöhnlich lächelnd an, und Paula fragte sich jetzt doch, wie es wohl wäre, Lázló zu küssen, verbat es sich aber sofort. Sie hatten jetzt andere Sorgen.
Es hatte aufgehört zu regnen, am liebsten hätte sie sich auf den Rücken fallen lassen und sich im Schlamm hingelegt. Es kam ihr so sinnlos vor aufzustehen, den Dreck abzuschütteln und weiterzugehen. Warum nicht hierbleiben, ausruhen und schlafen.
»Wir müssen weiter.« Lázló machte sich daran, sich aus dem Matsch zu lösen.
Paula hingegen schloss ihre Augen und ließ sich mit Jo auf dem Arm nach hinten sinken. Was für eine Erleichterung!
»Sind Sie verrückt? Wir können hier nicht liegen bleiben.«
Paula öffnete die Augen und sah durch eine Lücke zwischen den Bäumen die Sonne glitzern. Sie sah genauer hin. Das war nicht die Sonne selbst, sondern ein riesiges Spinnennetz, das golden in der Sonne leuchtete. Einige Wassertropfen schimmerten darin wie Diamanten. Sie betrachtete es noch genauer. Nein, es war nicht die Sonne, die das Netz golden färbte, es war das Netz selbst, das nicht durchsichtig, sondern wie aus Goldfäden gewebt war.
»Haben Sie schon einmal goldene Spinnweben gesehen?«, fragte Paula, die von diesem Anblick nicht genug bekommen konnte.
»Unsinn. Sie halluzinieren. Das ist der Hunger.«
Paula patschte neben sich in den Schlamm. »Kommen Sie her und setzen Sie sich, es ist doch jetzt sowieso schon egal. Das müssen Sie sich anschauen.«
»Na gut, aber nur, wenn Sie dann endlich wieder aufstehen.«
»Versprochen.«
Lázló setzte sich neben sie und vermied es, ihr zu nahe zu kommen, aber sein holzig-sinnlicher Tabakgeruch erreichte sie trotzdem. Er beugte sich zurück.
»Das ist ja großartig! Was für ein Geschenk! Madame Kellermann, warum haben Sie nicht gleich verraten, was Sie mir da zeigen wollen.«
Verdutzt richtete sich Paula auf und musterte Lázló. Er wollte sie auf den Arm nehmen. Aber da setzte er sich wieder auf und strahlte sie förmlich an.
»Ich hätte nicht gedacht, dass goldene Spinnennetze Ihnen so viel Freude machen«, sagte sie.
»Na, dann schauen Sie doch mal genauer hin.«
Paula legte sich wieder hin und starrte auf das goldene Netz. Jetzt bemerkte sie einige, wie in goldenes Vlies eingewickelte Insekten, die am Rand des Netzes hingen. Er meinte doch nicht etwa, dass sie die essen sollten, oder waren sie vielleicht besonders schmackhaft?
»Die Insekten?«
»Nein, natürlich nicht, aber dahinter, schauen Sie doch mal hin.«
Paula versuchte durch das goldene Netz hindurchzuschauen. Bäume. Nichts als Bäume und Blätter.
»Konzentrieren Sie sich auf den Baum, vor dem das Netz hängt.«
»Der Baum hat grünliche Auswüchse an seinem Stamm, die wie riesenhafte Geschwüre aussehen. Und die Schale der Geschwüre sieht so merkwürdig aus wie die von rosa Litschis, nur eben grün.« Litschis! Allein der Gedanke an diese süßen, weißen Früchte, die sie im November auf Nosy Be täglich genossen hatte, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Der Vergleich mit den Litschis ist nicht so schlecht, denn das, was Sie da sehen, Madame Kellermann, nennt man einen Jackfruchtbaum, der gerade Früchte trägt!«
»Ja natürlich, klar, Jackfrucht! Und daneben erkenne ich deutlich den Stevefruchtbaum und den Petefruchtbaum.«
»Los, kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen.« Lázló war so begeistert, als hätten sie gerade das Ei des Kolumbus entdeckt, sprang auf, half ihr hoch, warf sich das Bündel auf den Rücken und griff sich die beiden Buschmesser. »Gehen wir, mein Magen knurrt.«
Sie schlugen sich einen Weg durch das Gebüsch, hin zu dem Baum, dort blieben sie wie angewurzelt stehen.
Der Jackfruchtbaum war eingehüllt in einen Mantel aus goldenen Spinnweben, und je näher sie kamen, desto deut licher konnte man auch die Spinnen erkennen, die in dem Netz saßen. In der Mitte hockte eine große Spinne mit einem braunen Körper, groß wie der von drei Maikäfern und weiß gesprenkelt. Die Beine waren schwarzrot gestreift wie Signalschranken und so lang wie Paulas Handspanne, und zwei von diesen Beinen waren sogar noch viel länger.
Am Rand hingen mehrere kleinere Spinnen, die wie schüchterne Besucher wirkten.
»Aber wir müssen ihre Netze zerstören, um an die Früchte zu kommen.«
»Na und? Wir haben Hunger. Das
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