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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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diskreter Dienste erkannten, besonders für eine Herrscherin, die, obwohl ihrem Gatten treu und dem Anschein nach respektvoll gegenüber dem Kardinal, Beziehungen zum feindlichen Hof unterhielt.
    Sein Ruf als zuverlässiger Vollstrecker heikler Missionen kam bald auch Richelieu zu Ohren, der als gründlicher Kenner der menschlichen Seele sofort erkannte, dass ein skrupelloser junger Mann im Dienst der notorisch geldknappen Königin für eine bessere Entlohnung auch ihm zu Diensten sein würde, und so begann er, ihn für derart geheime Sonderaufträge zu benutzen, dass nicht einmal seine engsten Mitarbeiter etwas von der Existenz dieses jungen Agenten wussten.
    Außer seiner langen Erfahrung in Madrid besaß Ferrante auch die seltene Gabe, rasch und leicht Sprachen zu erlernen und Akzente zu imitieren. Er hatte zwar nicht die Gewohnheit, seine Fähigkeiten besonders herauszustreichen, aber eines Tages, als Richelieu in seiner Gegenwart einen englischen Spion empfing, erwies er sich als gewandt im Gespräch mit jenem Verräter. So kam es, dass Richelieu ihn in einem besonders heiklen Moment der französisch-britischen Beziehungen nach London schickte, wo er sich als Kaufmann aus Malta ausgeben und Informationen über die Schiffsbewegungen in den britischen Häfen einholen sollte.
    Damit hatte Ferrante einen Teil seines Traums erreicht: Er war jetzt ein Spion, nicht nur im Dienst irgendeines beliebigen Herrn, sondern eines wahrhaft biblischen Leviathans, der seine Arme überallhin ausstreckte.
    Ein Spion – empörte sich Roberto voller Abscheu –, die ansteckendste Pest der Höfe, eine Harpyie, die sich mit geschminktem Gesicht und geschärften Krallen über die Tische der Könige hermacht, mit Fledermausflügeln flatternd und mit großen Horchohren lauschend, ein Nachtvogel, der nur im Dunkeln sieht, eine Viper zwischen den Rosen, eine Kakerlake auf den Blüten, die noch den süßesten Saft, den sie aus ihnen nippt, in Gift verwandelt, eine Spinne der Vorzimmer, die das Netz ihrer feingesponnenen Reden spannt, um jede vorbeikommende Fliege darin zu fangen, ein Papagei mit Hakenschnabel, der alles, was er hört, weitergibt, indem er das Wahre in Falsches und das Falsche in Wahres verwandelt, ein Chamäleon, das jede Farbe annimmt, nur nicht die, die es in Wahrheit hat. Lauter Eigenschaften, deren ein jeder sich schämen würde bis auf den, der durch göttlichen – oder teuflischen – Ratschluss zum Dienst am Bösen geboren ist.
    Doch Ferrante begnügte sich nicht damit, ein Spion zu sein und Macht über jene zu haben, deren Gedanken er weitergab, sondern er wollte ein Doppelspion sein, der wie das Ungeheuer der Sage gleichzeitig in zwei entgegengesetzte Richtungen gehen kann. Wenn der Wettstreit, in dem die Mächte einander bekämpfen, ein Labyrinth von Intrigen sein kann, wer ist dann der Minotaurus, in dem zwei ungleiche Wesen vereinigt sind? Der Doppelspion! Wenn das Schlachtfeld, auf dem der Kampf zwischen den Höfen tobt, eine Hölle genannt werden kann, in der im Strom des Undanks mit voller Schnelle der Phlegethon des Vergessens fließt und das trübe Wasser der Leidenschaften kocht, wer ist dann der dreiköpfige Zerberus, der bellt, wenn er jemanden sieht oder wittert, der eintreten will, um zerrissen zu werden? Der Doppelspion ...
    Kaum in London angelangt, beschloss Ferrante, während er für Richelieu spionierte, sich durch gleichzeitige Dienste für die Engländer zu bereichern. Nachdem er sich Informationen beschafft hatte bei Knechten und kleinen Beamten vor großen Bierkrügen in Lokalen voller Rauch- und Hammelfettschwaden, präsentierte er sich in kirchlichen Kreisen als ein spanischer Priester, der beschlossen habe, die Römische Kirche zu verlassen, da er ihre Schandtaten nicht mehr ertrage.
    Honig in den Ohren jener Antipapisten, die stets daraufaus waren, die Niedertracht des katholischen Klerus zu dokumentieren. Es war nicht einmal nötig, dass Ferrante gestand, was er gar nicht wusste. Die Engländer waren schon im Besitz eines anonymen, angeblichen oder echten Geständnisses eines anderen spanischen Priesters. Ferrante brauchte es nur zu bestätigen und mit dem Namen eines Assistenten des Bischofs von Madrid zu unterzeichnen, der ihn einmal von oben herab behandelt hatte, weshalb er sich schon lange an ihm rächen wollte.
    Von den Engländern beauftragt, nach Spanien zurückzukehren, um weitere Erklärungen von katholischen Priestern einzuholen, die bereit waren, den Heiligen Stuhl zu

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