Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
Erzeugers & lass ihm ein paar Messen lesen, nicht um den HErrn zu einer Revision seines Urteils zu veranlassen, denn er ist kein Fähnlein, das sich drehet, je nachdem, wie die Betschwestern blasen, sondern um deiner Eigenen Seele etwas Gutes zu tun.«
Alsdann erzählte ihm Roberto von den aufrührerischen Reden, die er sich angehört hatte, und der Pater breitete resigniert die Arme aus: »Mein Sohn, ich weiß nur wenig von Paris, doch das wenige, was ich von dorten höre, lehret mich, wie viele Unvernünftige, Ehrgeizige, Renegaten, Spione und Intriganten in jenem Neuen Sodom leben. Und darunter sind Falsche Zeugen, Altardiebe & Kreuzesschänder, Lästerer, die den Bettlern Geld dafür geben, dass sie Gott leugnen, ja sogar Leute, die zum Hohne ihre Hunde getauft haben ... Und das nennen sie dann der Mode der Zeit folgen. In den Kirchen spricht man keine Gebete mehr, sondern man Spazieret umher, man Lacht, man versteckt sich hinter den Säulen, um den Damen Nachzustellen, und es ist ein Unaufhörlich Lärmen & Rumoren selbst während der Elevatio. Sie geben vor zu Philosophieren, & sie Bestürmen dich mit Allerley Maliziösem Warum, Warum hat Gott der Welt Gesetze gegeben, Warum ist die Unzucht Verboten, Warum ist Gottes Sohn Fleisch geworden, & sie verdrehen Dir jede Antwort zu einem Beweise des Atheismus. Hier hast du die Schöngeister Unserer Zeit: Epikureer, Pyrrhonisten, Diogenesianer & Libertins! Drum sollstu dein Ohr nicht leihen Jenen Verführerreden, denn sie kommen vom Bösen.«
Gewöhnlich spickt Roberto seine Briefe nicht so mit Majuskeln, wie es die Schreiber seiner Zeit gerne taten; doch wenn er Reden und Aussprüche von Pater Emanuele wiedergibt, häufen sie sich, als hätte der Pater die besondere Würde der betreffenden Worte und Begriffe nicht nur beim Schreiben hervorgehoben, sondern auch beim Sprechen hörbar gemacht – ein Zeichen dafür, dass er ein Mann von großer und mitreißender Eloquenz gewesen sein muss. Tatsächlich fühlte Roberto sich von seinen Worten derart beruhigt, dass er nach der Beichte noch ein wenig mit ihm plaudern wollte. So erfuhr er, dass der Pater ein savoyischer Jesuit war und sicher kein kleines Kirchenlicht, denn er residierte in Casale als offizieller Beobachter im Auftrag des Herzogs von Savoyen – so etwas konnte es in jenen Zeiten bei einer Belagerung geben.
Pater Emanuele erfüllte seinen Auftrag nicht ungern, sagte er. Die Trübsinnigkeit einer Belagerung gebe ihm Muße, sich seinen Studien zu widmen, die im Trubel einer Hauptstadt wie Turin kaum möglich seien. Und gefragt, womit er sich denn beschäftige, sagte er, dass er dabei sei, ähnlich den Astronomen ein Fernrohr zu konstruieren.
»Sicher hast du von jenem Florentiner Astronomen gehört, der zur Erklärung des Universums das Fernrohr benutzte, eine Hyperbel der Augen, um mit dem Fernrohr zu Sehen, was die Augen sich nur hatten Vorstellen können. Ich habe große Achtung für diesen Gebrauch von Mechanischen Instrumenten zum Verständnis der, wie man heute zu sagen pflegt, Ausgedehnten Dinge. Doch um das Denkende Ding zu verstehen, soll heißen die Art & Weise, wie wir die Welt Erkennen, können wir nur ein Anderes Fernrohr benutzen, und zwar ebenjenes, das auch Aristoteles benutzt hat und das weder Rohr noch Linse ist, sondern Verknüpfung von Worten und Scharfsinnige Idee, denn nur die Kunstvolle Eloquentia erlaubt uns, dieses Universum zu verstehen.«
So redend, hatte Pater Emanuele mit Roberto die Kirche verlassen, und sie hatten einen Spaziergang auf die Bastionen gemacht, an eine ruhige Stelle, wo an jenem Nachmittag nur gedämpfter Kanonendonner von der anderen Seite der Stadt zu hören war. Sie konnten die Zelte der Kaiserlichen in der Ferne sehen, doch große Teile des Lagers waren entleert vonTruppen und Karren, und die Wiesen und Hügel glänzten in der Frühlingssonne.
»Was siehst du, mein Sohn?«, fragte Pater Emanuele. Und Roberto, noch wenig eloquent: »Die Wiesen.«
»Gewiss, ein jeder kann dort Wiesen sehen. Aber du weißt sehr gut, dass sie dir je nach dem Stand der Sonne, der Farbe des Himmels, der Stunde des Tages & der Jahreszeit in verschiedenen Formen erscheinen können, die dir verschiedene Gefühle eingeben. Dem Bauern, der müde von der Arbeit ist, erscheinen sie als Wiesen & sonst gar nichts. Dasselbe geschieht mit dem ungebildeten Fischer, der entsetzt eines jener Nächtlichen Feuerbilder erblickt, die manchmal am Himmel erscheinen & Schrecken verbreiten, doch
Weitere Kostenlose Bücher