Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
liefen hinaus, um sich unter die Dusche zu stellen, die alle Spuren der Ansteckung abwaschen sollte. Es war mehr eine Art, neuen Mut zu fassen, als eine Kur, und die Krankheit wütete auch nach dem Gewitter weiter. Die einzigen tröstlichen Nachrichten betrafen die Verheerungen, die die Pest auch im Feindeslager anrichtete.
Sobald er sich wieder auf den Beinen halten konnte, wagte Roberto sich aus dem Kloster, und nach einer Weile erblickte er auf der Schwelle eines Hauses, das mit einem grünen Kreuz als ein verseuchtes Haus gekennzeichnet war, das Mädchen Anna Maria oder Francesca Novarese. Sie war ausgemergelt wie eine Gestalt aus dem Totentanz. Von dem einstigen Schneeweiß und Granatapfelrot ihres Gesichts war nur noch ein fahles Gelb geblieben, auch wenn ihre eingefallenen Züge noch an die frühere Anmut erinnerten. Roberto fiel ein Satz von Saint-Savin ein: »Macht Ihr vielleicht Eure Kniefälle weiter, wenn das Alter jenen Leib zu einem Gespenst reduziert hat, das zu nichts anderem mehr taugt, als Euch an den nahen Tod zu erinnern?«
Sie schluchzte an der Schulter eines Kapuziners, als hätte sie eine teure Person verloren, vielleicht ihren Franzosen. Der Mönch, dessen Gesicht noch grauer war als sein Bart, hielt sie umfangen und deutete mit knochigem Finger zum Himmel, als wollte er sagen: »Eines Tages, dort oben ...«
Liebe wird nur dann etwas Geistiges, wenn der Körper begehrt und das Begehren unterdrückt wird. Ist der Körper geschwächt und unfähig zu begehren, so verflüchtigt sich das Geistige. Roberto entdeckte, dass er zu schwach war, um noch zu lieben. Exit Anna Maria (Francesca) Novarese.
Er ging ins Kloster zurück und legte sich wieder ins Bett, entschlossen, diesmal wirklich zu sterben – zu sehr litt er daran, dass er nicht mehr litt. Pater Emanuele ermunterte ihn, an die frische Luft zu gehen. Aber die Nachrichten, die er von draußen erhielt, ermunterten ihn nicht zum Weiterleben.Inzwischen gab es außer der Pest auch die Hungersnot, ja etwas noch Schlimmeres: eine verbissene Jagd nach dem letzten Essbaren, das die Casaler noch versteckt hielten und ihren Verbündeten nicht herausrücken wollten. Roberto sagte, wenn er nicht an der Pest sterben könne, wolle er Hungers sterben.
Schließlich setzte Pater Emanuele sich durch und jagte ihn hinaus. Als Roberto um eine Ecke bog, stieß er auf eine Gruppe spanischer Offiziere. Er wollte fliehen, aber sie zogen höflich den Hut. Da begriff er, dass die Feinde, nachdem sie mehrere Bastionen gesprengt hatten, sich an mehreren Stellen der Stadt festgesetzt hatten, so dass man nun sagen konnte, nicht mehr das Umland belagere Casale, sondern Casale belagere sein eigenes Kastell.
Am Ende der Straße traf er auf Saint-Savin. »Mein lieber La Grive«, sagte der, »Ihr seid als Franzose erkrankt und als Spanier genesen! Dieser Teil der Stadt ist jetzt in feindlicher Hand.«
»Und wir dürfen passieren?«
»Wisst Ihr nicht, dass ein Waffenstillstand geschlossen worden ist? Außerdem wollen die Spanier das Kastell, nicht uns. Im französischen Teil geht der Wein zur Neige, und die Casaler holen ihn aus ihren Kellern, als handle es sich um das Blut Unseres Herrn. Ihr könnt die guten Franzosen nicht daran hindern, gewisse Tavernen in diesem Teil der Stadt zu besuchen, wo die Wirte jetzt besten Wein aus der Umgebung anbieten. Und die Spanier empfangen uns wie große Herren. Wir müssen nur die vereinbarten Anstandsregeln einhalten: Wenn wir Streit anfangen wollen, müssen wir's in unserem Teil tun und mit unseren Landsleuten, denn in diesem Teil hat man sich höflich zu benehmen, wie es sich unter Feinden gehört. Daher ist, ich gestehe es, der spanische Stadtteil langweiliger als der französische, jedenfalls für uns. Aber kommt doch mit, heute Abend wollen wir einer Dame ein Ständchen bringen, die uns ihre Reize bis vorgestern verborgen hatte, als ich sie für einen Moment an einem Fenster sah.«
So kam es, dass Roberto an jenem Abend fünf bekannte Gesichter aus Toiras' Gefolge wiedersah. Es fehlte nicht einmal der Abbé, der sich für die Gelegenheit mit Litzen und Spitzen geschmückt hatte und ein Gehänge aus Satin trug. »DerHerr vergebe uns«, sagte er mit leichtfertiger Heuchelei, »aber auch der Geist will ab und zu erheitert werden, wenn wir noch unsere Pflicht erfüllen wollen ...«
Das Haus stand an einer Piazza im spanischen Teil, aber die Spanier mussten um diese Zeit alle in den Schenken sitzen. Am Rechteck des Himmels,
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