Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
zu hindern.
Roberto erlebte jenen Schiffbruch wie ein blinder Passagier. Er verbrachte lange Stunden im Gespräch mit Pater Emanuele über die beste Art, die Feuer der Belagerung zu beschreiben, aber er war immer öfter auch bei Saint-Savin, um mit ihm Metaphern von gleicher Bildhaftigkeit über die Feuer seiner Liebe zu erarbeiten – deren Scheitern er ihm nicht zu gestehen wagte. Saint-Savin bot ihm eine Bühne, auf der sich seine galante Affäre glücklich entwickeln konnte; schweigend nahm er die Schmach auf sich, mit seinem Freunde weitere Briefe aufzusetzen, die er dann zuzustellen vorgab, während er sie in Wahrheit jede Nacht selbst wiederlas, als wäre das Tagebuch jener Liebesqualen von ihr an ihn gerichtet.
Er erfand Situationen, in denen ihm die Geliebte, verfolgt von Landsknechten, ermattet in die Arme sank, woraufhin er die Feinde in die Flucht schlug und die Erschöpfte in einenGarten führte, wo er ihre ungestüme Dankbarkeit genoss. Bei solchen Gedanken fiel er auf seinem Bett in Ohnmacht, kam erst nach langer Bewusstlosigkeit wieder zu sich und schrieb dann Sonette an die Geliebte.
Eins davon zeigte er Saint-Savin, der es wie folgt kommentierte: »Ich halte es für sehr hässslich, wenn Ihr erlaubt, aber tröstet Euch: Die meisten derer, die sich in Paris als Dichter bezeichnen, schreiben noch schlechtere. Dichtet nicht über Eure Liebe, die Leidenschaft nimmt Euch jene göttliche Kühle, die der Ruhm Catulls war.«
Er entdeckte in sich eine melancholische Grundstimmung und sagte es Saint-Savin. »Beglückwünscht Euch dazu«, kommentierte der Freund, »die Melancholie ist nicht der Auswurf des Blutes, sondern seine Blüte, und sie bringt Helden hervor, da sie, an die Narrheit grenzend, zu den kühnsten Taten antreibt.« Aber Roberto fühlte sich zu nichts angetrieben und versank in Melancholie darüber, dass er nicht melancholisch genug war.
Taub für die Schreie und die Kanonenschüsse, hörte er nur die hoffnungsvollen Gerüchte (es gebe eine Krise im spanischen Lager, die französische Armee rücke näher). Er freute sich, als es Mitte Juli endlich gelang, eine Gegenmine zu sprengen, die viele Spanier zerfetzte; aber inzwischen waren viele Schanzen gesprengt worden, und so konnte die feindliche Vorhut nun direkt in die Stadt hineinschießen. Er erfuhr, dass einige Leute aus Casale versuchten, im Po zu fischen, und ohne darauf zu achten, ob er über Straßen im Schussfeld des Gegners lief, rannte er hin, um zu sehen, ob die Kaiserlichen etwa auf seine Geliebte schossen.
Er traf auf Soldaten, die rebellierten, weil in ihrem Vertrag nicht vorgesehen war, dass sie Gräben ziehen sollten; aber die Casaler weigerten sich, es für sie zu tun, und Toiras musste ihnen einen Extrasold versprechen. Er freute sich wie alle über die Nachricht, dass Spinola an der Pest erkrankt war, er genoss den Anblick einer Gruppe neapolitanischer Deserteure, die aus Angst vor der Krankheit aus dem feindlichen Lager in die Stadt geflohen kamen, er hörte Pater Emanuele sagen, das könne zu einer Ansteckung führen ...
Mitte September tauchte die Pest in der Stadt auf, Roberto kümmerte sich nicht weiter darum, außer indem ersich um die Gesundheit seiner Geliebten sorgte, und eines Morgens erwachte er mit hohem Fieber. Es gelang ihm, jemanden mit der Nachricht zu Pater Emanuele zu schicken, der ihn heimlich in sein Kloster bringen ließ, um ihn davor zu bewahren, in eines jener Notlazarette zu kommen, in denen die Kranken rasch und ohne Aufsehen starben, um nicht die anderen zu stören, die mit dem Sterben durch Pyrotechnik beschäftigt waren.
Roberto dachte nicht an den Tod: Er verwechselte sein Fieber mit Liebe und träumte, die Haut des Mädchens zu berühren, während er die Falten seines Strohlagers knautschte oder die schweißnassen schmerzenden Stellen seines eigenen Körpers streichelte.
Was eine allzu lebhafte Erinnerung vermag: an jenem Abend auf der Daphne , während die Nacht vorrückte, der Himmel seine langsame Drehung vollzog und das Kreuz des Südens hinter dem Horizont versank, wusste Roberto auf einmal nicht mehr, brannte er nun aus wiederbelebter Liebe zu jener kriegerischen Diana von Casale oder zu der seinen Blicken ebenso weit entrückten Signora?
Er wollte wissen, wohin sie entschwunden sein konnte, und eilte in den Raum mit den nautischen Instrumenten, wo er eine Karte jener Meere gesehen zu haben meinte. Er fand sie, es war eine große, farbige, aber unvollständige Karte, wie es
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