Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
kleine Kirche, an der ein schon recht weit gediehener Minengang vorbeiführte, als plötzlich hinter einer Böschung das Gros der feindlichen Armee auftauchte, das dort seit Stunden auf diese Begegnung gewartet hatte.
    »Verrat!« schrie Toiras, stürmte zum Tor hinunter und ließ zum Rückzug blasen.

Kurz darauf brachte ihm ein Fähnlein des Regiments Pompadour einen an den Händen gefesselten jungen aus Casale, der auf einem kleinen Turm neben dem Kastell dabei überrascht worden war, wie er mit einem weißen Tuch den Belagerern Zeichen machte. Toiras ließ ihn niederknien, zog seine Pistole, spannte den Hahn, nahm den rechten Daumen des jungen und steckte ihn unter den gespannten Hahn, richtete den Lauf der Pistole auf seine linke Hand, legte den Finger an den Abzug und sagte: »Et alors?«
    Der junge begriff sofort, in welcher Gefahr er schwebte, und fing an zu reden: Am Abend zuvor, gegen Mitternacht, habe ihm vor der Kirche von San Domenico ein gewisser Capitano Gambero sechs Pistolen versprochen ‘ und drei davon gleich als Vorschuß, wenn er tun würde, was er dann getan hatte, als die französischen Truppen zur Bastion San Giorgio ausrückten. Dabei schien der junge sogar zu meinen, daß ihm die restlichen drei Pistolen jetzt zustünden, ohne recht zu begreifen, mit wem er sprach, so als müsse Toiras sich über seine Dienste freuen. Dann sah er plötzlich Roberto und rief, der sei der Hauptmann Gambero gewesen.
    Roberto erstarrte, der alte Pozzo stürzte sich auf den Verleumder und hätte ihn wohl erwürgt, wenn ihm nicht einige Herren aus Toiras’ Gefolge in den Arm gefallen wären. Toiras selbst erinnerte sofort daran, daß Roberto die ganze Nacht bei ihm gewesen war und daß ihn, so gut er auch aussehen mochte, gewiß niemand für einen Capitano hätte halten können. Unterdessen hatten andere geklärt, daß ein Capitano Gambero wirklich existierte, nämlich im Regiment Bassiani, und brachten ihn mit Stößen und flachen Klingenhieben vor Toiras. Der Mann beteuerte seine Unschuld, und tatsächlich erkannte ihn der gefangene junge nicht, aber Toiras ließ ihn sicherheitshalber einsperren. Um das Chaos vollzumachen, kam jemand gelaufen und meldete, daß, als die Truppe La Granges den Rückzug angetreten habe, jemand aus der Bastion San Giorgio zu den spanischen Linien übergelaufen und dort mit Freude empfangen worden sei. Er konnte nicht viel über ihn sagen, nur daß er jung und nach spanischer Sitte gekleidet gewesen sei, mit einem Netz überm Haar. Roberto dachte sofort an Ferrante. Doch was ihn noch stärker beeindruckte, war die argwöhnische Miene, mit der die französischen Offiziere nun auf die Italiener in Toiras’ Gefolge blickten.
    »Genügt eine kleine Kanaille, um ein Heer aufzuhalten?« hörte er seinen Vater rufen, der auf die zurückkehrenden Franzosen wies. »Entschuldigt, lieber Freund«, wandte sich Pozzo dann an Toiras,
    »aber hier herrscht anscheinend die Vorstellung, daß wir Hiesigen alle ein bißchen wie dieser Krebs von Gambero wären, habe ich recht?« Und als ihn Toiras daraufhin seiner Wertschätzung und Freundschaft versicherte, aber mit zerstreuter Miene, unterbrach ihn der alte Pozzo: »Laßt nur. Mir scheint, hier machen sich alle ins Hemde, mir reicht das Geschiß hier allmählich. Ich hab dieses Geschmeiß von Spaniern satt, und mit Eurer Erlaubnis geh ich jetzo zwei oder drei von ihnen erledigen, nur daß man sieht, daß wir die Galliarde zu tanzen verstehn, wenn’s nö tig ist, und wenn’s uns erst mal richtig dreht, schaun wir keinem mehr ins Gesicht. Mordius!«
    Er preschte zum Tor hinaus und ritt wie eine Furie mit gezücktem Degen auf die feindlichen Reihen los.
    Natürlich wollte er sie nicht in die Flucht schlagen, aber es schien ihm geboten, dem eigenen Kopf zu folgen, nur um’s den anderen einmal zu zeigen.
    Als Mutprobe war es gut, als militärisches Unternehmen katastrophal. Eine Kugel traf ihn mitten in die Stirn und warf ihn rücklings auf die Kruppe seines Pagnufli. Eine zweite Salve ging zur Kontreskarpe, und Roberto spürte einen jähen Schmerz an der Schläfe, wie von einem Stein, so daß er ins Taumeln geriet. Er hatte einen Streifschuß abbekommen, doch er wand sich aus den Armen der Helfer, richtete sich auf und rief den Namen seines Vaters, dann sah er Pagnufli verstört mit dem leblosen Leib seines Herrn in ein Niemandsland galoppieren.
    Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß erneut seinen Pfiff aus. Pagnufli hörte es und kam

Weitere Kostenlose Bücher