Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
zurück, aber langsam, in einem feierlichen kleinen Trab, um nicht seinen Reiter aus dem Sattel zu werfen, der ihm jetzt nicht mehr gebieterisch die Schenkel in die Seiten drückte. Er kam herangetrabt, wieherte leise seine Pavane für den verstorbenen Herrn und übergab den Leichnam an Roberto, der die noch aufgerissenen Augen schloß und das inzwischen geronnene Blut vom Gesicht des Toten wischte, während ihm selbst das noch warme Blut die Wange hinunterlief.
    Wer weiß, ob der Schuß nicht doch einen Nerv bei ihm getroffen hatte: Als er am folgenden Tag aus der Kathedrale Sant’Evasio trat, in der Toiras die Totenmesse für den Signor Pozzo di San Patrizio della Griva hatte zelebrieren lassen, konnte er das Sonnenlicht kaum ertragen. Vielleicht waren seine Augen vom Weinen gerötet, Tatsache ist, daß sie ihn seit damals schmerzten. Heute würden die Erforscher der Psyche sagen, er habe, als sein Vater in den Schatten getreten war, ebenfalls in den Schatten treten wollen. Roberto verstand nicht viel von der Psyche, aber diese Redefigur hätte ihn reizen können, jedenfalls im Licht - oder im Schatten - dessen, was später geschah.
    Ich denke, daß der alte Pozzo aus Eigensinn gestorben ist, was mir großartig scheint, aber Roberto konnte nichts Schätzenswertes daran finden. Alle lobten das Heldentum seines Vaters, er hätte die Trauer mit Stolz tragen sollen, aber er schluchzte. Als ihm einfiel, daß der Vater immer gesagt hatte, ein Edelmann müsse sich daran gewöhnen, widrige Schicksalsschläge trockenen Auges zu ertragen, entschuldigte er sich für die Schwäche (vor seinem Erzeuger, der ihn nicht mehr zur Rechenschaft ziehen konnte) und sagte sich wiederholt, daß er ja schließlich zum erstenmal Waise geworden war. Er meinte, sich an die Vorstellung gewöhnen zu müssen, und hatte noch nicht begriffen, daß es unnütz ist, sich an den Verlust eines Vaters zu gewöhnen, denn das passiert einem kein zweites Mal - man kann die Wunde daher auch ebensogut offen lassen.
    Um aber dem Geschehenen einen Sinn zu geben, konnte er nur ein weiteres Mal auf Ferrante zurückgreifen. Ferrante, der ihm auf den Fersen gefolgt war, hatte dem Feind die Geheimnisse, die er in Erfahrung gebracht hatte, verkauft und war dann schamlos zum Feind übergelaufen, um den Lohn seines Verrats zu genießen: Der Vater, der das begriffen hatte, wollte in jenem Moment die befleckte Familienehre reinwaschen und den Glanz seines Mutes auf Roberto zurückstrahlen lassen, um ihn von jenem Schatten eines Verdachts zu befreien, der sich um ein Haar auf den Unschuldigen gelegt hätte.
    Damit also sein Tod nicht unnütz war, schuldete ihm Roberto das Benehmen, das alle in Casale vom Sohn des Helden erwarteten.
    Er konnte nichts daran ändern: Er war nun der rechtmäßige Herr von La Griva, Erbe des Namens und der Familiengüter. Toiras wagte nicht mehr, ihn für kleine Aufträge zu verwenden - und zu den großen konnte er ihn nicht heranziehen. So fand sich Roberto, allein gelassen in seiner neuen Rolle als illustre Waise, nun noch mehr allein gelassen, sogar ohne den Trost des tätigen Handelns. Mitten in einer Belagerung, aller Pflichten entbunden, quälte er sich mit der Frage, wie er seine Tage als Belagerter verbringen sollte.
    Die Kuriose Lehre der Schöngeister jener Zeit
    Den Strom der Erinnerungen für einen Moment unterbrechend, machte Roberto sich klar, daß er sich den Tod des Vaters nicht deshalb vergegenwärtigt hatte, weil er pietätvoll jene Philoktetswunde offen halten wollte, sondern weil er sich das Gespenst Ferrantes in Erinnerung gerufen hatte, das seinerseits vom Gespenst des Eindringlings auf der Daphne evoziert worden war. Die beiden erschienen ihm mittlerweile so sehr wie Zwillinge, daß er beschloß, den schwächeren zu beseitigen, um mit dem stärkeren fertig zu werden.
    War es nicht schließlich, sagte er sich, in jenen Tagen der Belagerung gewesen, daß ich noch Ferrantes Witterung hatte? Nein, im Gegenteil, denn was geschah dann? Daß mich Saint-Savin von seiner Inexistenz überzeugte.
    Roberto hatte sich nämlich mit Herrn de Saint-Savin angefreundet. Er hatte ihn beim Begräbnis wiedergesehen und eine sehr herzliche Beileidsbekundung von ihm erhalten. In nüchternem Zustand war Saint-Savin ein vollendeter Edelmann. Klein von Statur, nervös, leichtfüßig, das Gesicht gezeichnet, vermutlich, von den Pariser Ausschweifungen, von denen er erzählte, mochte er kaum dreißig sein.
    Er hatte sich für seine

Weitere Kostenlose Bücher