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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Liebeserklärung mache, ich liebe das Wissen, und ich schreibe, sagt man, gute Verse. Deshalb finden mich die Damen galant. Ich würde gerne Romane schreiben, die sehr in Mode sind, aber ich denke an viele und kann mich bei keinem entschließen, ihn zu schreiben ...«
    »An was für Romane denkt Ihr?«
    »Manchmal betrachte ich den Mond und stelle mir vor, die Flecken dort seien Höhlen, Städte, Inseln, und die glänzenden Stellen seien solche, wo das Meer das Licht der Sonne empfängt wie das Glas eines Spiegels. Ich würde gern die Geschichte von ihrem König erzählen, von ihren Kriegen und Revolutionen, oder vom Unglück der Liebenden dort oben, die während ihrer Nächte seufzend unsere Erde betrachten. Es würde mir gefallen, von den Kriegen und Freundschaften zwischen den verschiedenen Teilen des Körpers zu erzählen, wie die Arme den Füßen Schlachten liefern, wie die Venen mit den Arterien Liebe machen oder die Knochen mit dem Mark. Alle Romane, die ich gern schreiben würde, verfolgen mich. Wenn ich in meiner Kammer bin, ist mir, als ob sie mich alle umgäben wie kleine Teufelchen, der eine zieht mich am Ohr, der andere an der Nase, und jeder fordert mich auf: ›Schreibt mich, Monsieur, ich bin wunderschön.‹ Dann fällt mir ein, daß man eine ebenso schöne Geschichte erzählen kann, indem man ein originelles Duell erfindet, zum Beispiel eines, bei dem man den Gegner während des Kampfes dazu überredet, Gott zu verleugnen, um ihm dann die Klinge ins Herz zu stechen, so daß er als Verdammter stirbt. Halt, Monsieur de La Grive, nochmals heraus Euren Degen, so, pariert den da! Ihr habt die Füße in eine Linie gestellt, das ist nicht gut, man verliert dabei leicht den sicheren Stand. Den Kopf nicht geradehalten, der lange Hals bietet dem Gegner zuviel Angriffsfläche ...«
    »Aber ich decke den Kopf mit dem Degen in der gestreckten Hand.«
    »Falsch, in dieser Stellung verliert man zuviel an Kraft. Und außerdem, ich habe mit einer Guardia in deutscher Manier eröffnet, und Ihr habt Euch nach italienischer Art in Guardia begeben. Schlecht. Wenn eine Guardia zu bekämpfen ist, muß man sie immer möglichst genau kopieren ... Aber Ihr habt mir noch gar nichts von Euch erzählt und was Ihr gemacht habt, bevor Ihr in dieses Tal des Staubes geraten seid.«
    Es gibt nichts Faszinierenderes für einen jungen Menschen als einen Älteren, der mit perversen Paradoxen zu brillieren versteht, so daß man es ihm sofort nachtun möchte. Roberto öffnete Saint-Savin sein Herz, und um sich interessant zu machen, erzählte er ihm - da seine ersten sechzehn Lebensjahre nicht viel Konkretes hergaben - von seiner Obsession mit dem unbekannten Bruder.
    »Ihr habt zu viele Romane gelesen«, sagte Saint-Savin, »und nun versucht ihr, einen zu leben; denn die Aufgabe eines Romans ist, auf unterhaltsam Art zu belehren, und was er lehrt, ist, die Tücken der Welt zu erkennen.«
    »Und was sollte mich der lehren, den Ihr dann wohl den Roman von Ferrante nennt?«
    »Ein Roman«, erklärte Saint-Savin, »muß als Grundlage immer ein Mißverständnis haben, eine Verwechslung von Personen, Handlungen, Orten und Zeiten oder Umständen, und aus diesem grundlegenden Mißverständnis müssen dann episodische Mißverständnisse hervorgehen, zeitweilige Verwirrungen und Verwicklungen, Peripetien und schließlich ein unerwartetes und ergötzliches Wiedererkennen. Ich meine solche Mißverständnisse und Verwechslungen wie den irrtümlich angenommenen Tod einer Person, oder wenn eine Person anstelle einer anderen umgebracht worden ist; oder Mißverständnisse der Quantität, wie wenn eine Frau ihren Liebhaber für tot hält und einen anderen heiratet; oder solche der Qualität, wie wenn die Sinne sich täuschen oder wenn jemand begraben wird, der tot zu sein scheint, aber bloß unter dem Einfluß eines starken Schlafmittels steht; oder auch Mißverständnisse der Beziehung, wie wenn einer zu Unrecht für den Mörder eines anderen gehalten wird; oder solche des Instruments, wie wenn man vorgibt, jemanden zu erdolchen, indem man einen speziellen Dolch benutzt, dessen Spitze beim Berühren der Haut nicht in diese eindringt, sondern in den Schaft zurückgleitet und darin einen blutgetränkten Schwamm zusammendrückt ... Nicht zu reden von falschen Wurfgeschossen, fingierten Stimmen, nicht rechtzeitig angekommenen Briefen oder solchen, die an einem falschen Ort einer falschen Person zugestellt worden sind. Und das beliebteste, aber auch

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