Die Insel Des Vorigen Tages
mit unseren Landsleuten, denn in diesem Teil hat man sich höflich zu benehmen, wie es sich unter Feinden gehört. Daher ist, ich gestehe es, der spanische Stadtteil langweiliger als der französische, jedenfalls für uns. Aber kommt doch mit, heute abend wollen wir einer Dame ein Ständchen bringen, die uns ihre Reize bis vorgestern verborgen hatte, als ich sie für einen Moment an einem Fenster sah.«
So kam es, daß Roberto an jenem Abend fünf bekannte Gesichter aus Toiras’ Gefolge wiedersah. Es fehlte nicht einmal der Abbé, der sich für die Gelegenheit mit Litzen und Spitzen geschmeckt hatte und ein Gehänge aus Satin trug. »Der Herr vergebe uns«, sagte er mit leichtfertiger Heuchelei, »aber auch der Geist will ab und zu erheitert werden, wenn wir noch unsere Pflicht erfüllen wollen ...«
Das Haus stand an einer Piazza im spanischen Teil, aber die Spanier mußten um diese Zeit alle in den Schenken sitzen. Am Rechteck des Himmels, das von den niedrigen Dächern und den Baumkronen an den Seiten der Piazza begrenzt wurde, stand groß und fast kreisrund der Mond und spiegelte sich im Wasser eines Brunnens, der in der Mitte jenes menschenleeren Platzes murmelte.
»O süßeste Diana«, sagte Saint-Savin, »wie still und friedlich müssen jetzt deine Städte und Dörfer sein, die den Krieg nicht kennen, denn die Mondbewohner leben in einer natürlichen Glückseligkeit und wissen nichts von der Sünde ...«
»Lästert nicht, Monsieur de Saint-Savin«, tadelte ihn der Abbé, »denn selbst wenn der Mond bewohnt wäre, wie es dieser Monsieur de Moulinet in seinem letzten Roman phantasiert hat und wie es die Heilige Schrift uns mitnichten lehrt, wären jene Bewohner alles andere als glückselig, da sie nichts von der Fleischwerdung Christi wüßten.«
»Und alles andere als gnädig wäre der Herrgott gewesen, ihnen diese schöne Offenbarung vorzuenthalten«, entgegnete Saint-Savin.
»Versucht nicht, in die göttlichen Mysterien einzudringen. Gott hat das Evangelium Seines eingeborenen Sohnes auch den Eingeborenen der beiden Amerikas nicht gewährt, doch in seiner unendlichen Güte schickt er ihnen jetzt Missionare, auf daß sie ihnen das Licht bringen.«
»Und warum schickt dann der Herr Papst nicht auch Missionare auf den Mond? Sind die Mondbewohner vielleicht keine Kinder Gottes?«
»Redet kein dummes Zeug!«
»Ich will überhören, daß Ihr mich der Dummheit geziehen habt, Monsieur l’ Abbé, aber wisset, daß sich unter dieser Dummheit ein Geheimnis verbirgt, das Euer Herr Papst sicher nicht lüften will. Wenn nämlich die Missionare auf dem Mond Bewohner vorfänden und sähen, daß diese Bewohner andere Welten betrachten, die in ihrem Blickfeld liegen, nicht aber in unserem, so müßten sie sich fragen, ob nicht auch auf jenen anderen Welten ähnliche Wesen leben wie wir. Und sie müßten sich weiter fragen, ob nicht auch die Fixsterne ebenso viele Sonnen sind, die von ihren Monden und ihren weiteren Planeten umgeben werden, und ob die Bewohner jener Planeten nicht ebenfalls wieder andere Sterne sehen, die uns unbekannt sind und die ebenso viele weitere Sonnen mit ebenso vielen weiteren Planeten wären und so fort bis ins Unendliche ...«
»Gott hat uns nicht befähigt, das Unendliche zu denken, also begnügt Euch damit und fragt nicht immer, warum.«
»Das Ständchen, das Ständchen«, tuschelten die anderen. »Dort ist das Fenster.« Und das Fenster schien übergossen mit einem rötlichen Licht, das aus dem Innern eines vorstellbaren Alkovens kam.
Aber die beiden Streithähne hatten sich schon zu sehr erhitzt.
»Und fügt hinzu«, insistierte Saint-Savin höhnisch, »wenn die Welt endlich wäre und umgeben vom Nichts, dann wäre auch Gott endlich: Da es seine Aufgabe ist, wie Ihr sagt, im Himmel zu sein und auf der Erde und an jedem Ort, könnte er nicht dort sein, wo nichts ist. Das Nichts ist ein Nicht-Ort. Oder aber, um die Welt zu erweitern, müßte er sich selbst erweitern, also erstmals dort auftreten, wo er vorher nicht war, was im Widerspruch zu seiner angeblichen Ewigkeit stünde.«
»Genug, Monsieur! Ihr leugnet die Ewigkeit des Ewigen, und das ist zuviel. Der Moment ist gekommen, Euch zu töten, damit Euer sogenannter starker Geist uns nicht länger mehr schwächen kann!« Sprach’s und zog seinen Degen.
»Wenn Ihr’s denn so wollt«, sagte Saint-Savin, zog ebenfalls, grüßte und stellte sich in Position. »Aber ich werde Euch nicht töten, ich will meinem König keine Soldaten
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