Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
sowohl um klingende Münze wie um die Französische Krankheit, ohne anderen beigelegen zu haben als ihren eigenen Frauen.
    Roberto versuchte, seine Leute wiederzufinden. Aber von der Armee aus La Griva hatte man nichts mehr gehört. Einige mußten an der Pest gestorben sein, die anderen hatten sich zerstreut. Roberto nahm an, daß sie nach Hause zurückgekehrt waren, und vielleicht hatte seine Mutter von ihnen schon die Nachricht vom Tod ihres Mannes erfahren. Er überlegte, ob er ihr jetzt nicht zur Seite stehen müßte, aber er wußte nicht mehr, was seine Pflicht war.
    Schwer zu sagen, was seinen Glauben mehr erschüttert hatte: die unendlich kleinen und unendlich großen Welten in einer Leere ohne Gott und ohne Gesetz, die Saint-Savin ihn hatte erahnen lassen, die Lektionen in Weltklugheit, die ihm Saletta und Salazar erteilt hatten, oder die Kunst der Großen Worte und Heroischen Wahlsprüche, die ihm von Pater Emanuele als einzige Wissenschaft geblieben war.
    Aus der Art, wie er sich auf der Daphne daran erinnert, entnehme ich, daß er in Casale gelernt hatte, während er den Vater und sich selbst verlor in einem Krieg mit zu vieler und keiner Bedeutung, das Universum als ein Gewirr von Rätseln zu sehen, hinter dem es keinen Urheber gab; oder dessen Urheber, wenn es je einen gegeben hatte, sich verloren zu haben schien in der Bemühung, sich selbst aus zu vielen Perspektiven neu zu erschaffen.
    Hatte er dort eine Welt erblickt, deren Mitte verloren war und die nur noch aus Peripherien bestand, so fühlte er sich hier nun wirklich an der’ äußersten und verlorensten aller Peripherien. Denn wenn es noch eine Mitte gab, war sie da vor ihm, und er war ihr regloser Satellit.
    Horologica Oscillatoria
    Dies ist wohl der Grund, denke ich, weshalb ich nun schon seit mindestens hundert Seiten von den vielen Geschehnissen berichte, die sich vor der Landung des schiffbrüchigen Roberto auf der Daphne ereignet hatten, während ich auf der Daphne selbst nichts passieren lasse. Aber daß die Tage an Bord eines verlassenen Schiffes ereignislos sind, kann man mir nicht zum Vorwurf machen, ist es doch auch für Roberto noch nicht gesagt, ob diese Geschichte es überhaupt lohnt, aufgeschrieben zu werden. Wir könnten ihm höchstens vorwerfen, daß er einen ganzen Tag darauf verwendet hatte (tatsächlich ist es inzwischen knapp dreißig Stunden her, seit er bemerkt hatte, daß jemand die Eier gestohlen haben mußte), den Gedanken an die einzige Möglichkeit zu verdrängen, die seinen Aufenthalt auf der Daphne etwas spannender machen könnte. Wie ihm bald klarwerden sollte, hatte es keinen Zweck, die Daphne für harmlos zu halten. Auf ihren Planken bewegte sich - oder lauerte - jemand oder etwas, das nicht nur er selber war. Nicht einmal auf jenem Schiff war eine Belagerung im Reinzustand denkbar. Der Feind war immer schon im Hause.
    Er hätte es bereits in der Nacht seines Orgasmus über den Karten argwöhnen können. Als er danach wieder zu sich kam, hatte er Durst verspürt, die Karaffe war leer gewesen, und so hatte er sich auf die Suche nach einem Wasserfäßchen gemacht. Die Fässer, die er zum Auffangen des Regenwassers hingestellt hatte, waren ihm zu schwer, aber es gab auch kleinere in der Vorratskammer. Er ging hin, nahm das erste, das in Reichweite stand (als er später darüber nachdachte, mußte er zugeben, daß es ein bißchen zu sehr in Reichweite stand), trug es in die Kapitänskajüte, stellte es auf den Tisch und hängte sich unter den Zapfhahn.
    Es war kein Wasser, und hustend machte er sich klar, daß es Branntwein war. Er wußte nicht, was für einer, aber als guter Landmann konnte er sagen, daß es kein Weinbrand und kein Tresterschnaps war.
    Es schmeckte nicht übel, und in einem Anfall von plötzlicher Fröhlichkeit trank er noch mehr davon. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß er, wenn die Fäßchen in der Vorratskammer alle so waren wie dieses, sich Sorgen um seine Wasservorräte machen müßte. Er fragte sich auch nicht, wie es sein konnte, daß am zweiten Abend, als er von dem ersten Fäßchen in der Kammer probiert hatte, es voll Süßwasser gewesen war. Erst später machte er sich klar, daß ein jemand hinterher dieses tückische Geschenk so hingestellt haben mußte, daß er es als erstes ergriff. Ein jemand, der ihn betrunken haben wollte, um ihn in seiner Gewalt zu haben. Wenn dies allerdings der Plan war, kam ihm Roberto mit zuviel Enthusiasmus entgegen. Ich glaube zwar nicht, daß er sehr viel

Weitere Kostenlose Bücher