Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans
einmal so anders aus. Daß Japaner die Natur liebten, ist eine Lehnvorstellung. Sie lieben sie nicht mehr und nicht weniger als sich selbst, denn auch sich betrachten sie als Natur, und darum weder als die Beherrscher noch die Erretter des Draußen. Lieber sitzen sie ihm gegenüber, in ruhigem, variablem Abstand, und betrachten die gegenseitige Verwandtschaft. Wie auch die sozialen Beziehungen, wird das Verhältnis zur sogenannten Natur eher kunstvoll und resolut als pfleglich oder sentimental behandelt: so wie der menschliche Mensch alle Dinge behandelt, die sich seinem Maß entziehen und eben darum Objekte seiner Sympathie bleiben.
Wenn es wahr ist, daß es in Japan keine Aufklärung gegeben hat, so fehlt dafür auch die Abspaltung der herrschaftlichen Rationalität von ihrem Schatten – heiße er schlechtes Gewissen, Empfindsamkeit oder Kitsch. Wer einer Blumenmeisterin zugesehen hat oder einem japanischen Gärtner, der weiß, daß es bei dieser Kunst nicht zimperlich zugeht. Da werden keine Blumenkinder gehätschelt. Auf der Strohmatte gedeiht ein Realitätssinn, der zugleich robust und bescheiden, flexibel und nichtexklusiv ist. So und nicht irgendwie lautet hier eher: Warum nicht so, ungefähr?
Er hat mit zugelassener statt mit kommandierter Realität zu tun, der Ausblick von der Reismatte. Er ist ihr offenbar adäquater, kongenialer als das kartesianische Koordinatensystem, das Kierkegaardsche Entweder/Oder – und, ja, auch als das Schnittmustermännchen mit dem erhobenen Arm. Wir stellen in Japan beneidenswert wenig Angst der Menschen vor ihren Eigenprodukten fest – etwa vor der Zukunft; dafür ein erstaunliches Grundvertrauen darauf, daß sich auch das dicke Ende dem rechten Fortbasteln schon bequemen werde – wenn nicht so, dann irgendwie. Und doch ist dieses Irgendwie kein bloßes Ungefähr. Es ist an den klaren Abmessungen der Reismatte erzogen und hat seinen Sinn für schöne und richtige Beziehungen im Sitzen geschult. Eine immer neue Welt aus Zwischenräumen. Man soll darüber nur nicht ins Zappeln geraten und darf das, worüber man keine Gewalt hat, einstweilen auf sich zukommen lassen. Dann kommt es nicht gleich als das Ende der Welt.
Ich bin bei Tadao Ando angelangt, wie ich ihn verstehe. Er liebt nicht nur das Pantheon und Piranesi, er liebt, natürlich, auch Le Corbusier. Da brauchte nicht, wie bei mir, eine Enttäuschung einzutreten. Denn Ando versteht Le Corbusier gelassener, als er sich selbst verstanden hat. Ando kann Materialien wie Beton, Glas, Stahl als reine Naturprodukte betrachten. Vor allem den Beton, im Westen das Dominanzmaterial par excellence, erzieht er im Geist der Strohmatte zum bescheidenen Mitspieler des Lichts: dafür muß seine Oberfläche reinlich sein und atmen wie eine Membran. Das vollständig nach außen abgeschlossene Haus Andos ist keine Betonkiste, sondern eine sorgfältige Fassung der Quelle, die zu jeder Stunde des Tages ein anderes Licht spendet. Das pure Gegenstück zu den auf beliebige Höhe stapelbaren Boxen, jenem Funktionalismus, der nichts weiter ist als eine Funktion der Ausnützungsziffer, eine Reduktion auf glasverkleideten und stahlgestützten Profit. Wer in Andos Haus wohnt, wohnt in einem Bad von Licht. Der Architekt artikuliert die Spielräume dafür. Die Spalte in der Wand ist keine Systemlücke, sondern eine Lichtnaht, mit der das Gebäude atmet. Der lichte Atem darf auch die Form eines Kreuzes annehmen. Als strahlendes Umkehrbild des Dunkels springt es in den Raum. In einer andern von Andos Kirchen steht das Kreuz als Positiv im Licht des Wassers, das es umspielt. Daß es jetzt »draußen« steht, ist fast nur eine Redensart, denn es ist dem Betrachter anheimgestellt, den Zwischenraum zu besetzen, die körperhafte Verwandtschaft zu fühlen zwischen seinem vergleichsweise festen Ruhepunkt – es muß keine Reismatte sein – mit dem vergleichsweise schwimmenden des Kreuzes. Was gar nirgends in Sicht ist: ein Fixpunkt, von dem aus – im Sinn des Archimedes und des modernen Bauens – die Welt aus den Angeln zu heben und neu wieder einzurenken wäre. Wozu? Die Physik der Welt, wie sie ist oder uns erscheint, gibt sich für solche Kraftakte nicht her, und wir sind dafür nicht geschaffen.
Mathematisch gesprochen: die westliche Denkart ist darauf angelegt, Gleichungen zu lösen. Dabei kommt eine Reduktion heraus, ein Ausdruck zentralen Willens, wie der Modulor, oder der Herrlichkeit, wie die geometrischen Gärten und Paläste
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