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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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Himmel steigt riesig die silberne Scheibe des Mondes auf, und nur gegen die schmalen Koschki schlägt schwer die Brandung. Und dort, auf dem schmalen nackten Streifen Sand, auf dessen Kamm sich ein paar Grasbüschel festgekrallt haben, darin verborgen ein Möwennest, rennt er und schreit gegen die Wogen an, die sich mit Getöse am Schild der Erde brechen. Das Boot, der mit einem Stein beschwerte Anker …
    Er ist allein unter dem Mond, dieser Mensch, allein auf der ganzen Welt, er ruft sie an und fordert Antwort. Die anrollende Welle läuft in einer langen schaumigen Schleppe aus. Unter den Füßen knirschen der Kiesel, die Panzer von Krebstieren, glitschen die öligen Körper der Algen, kalt glänzt der feuchte Sand. Die dunklen Brecher schlagen mit der ganzen Wucht der auflaufenden Tide gegen das Sandinselchen. Immer lauter wird ihr Rollen, immer heftiger ihr Anbranden, immer grimmiger das Kampfgedröhn, in das hinein mit schrillem Ton die einzige, seine menschliche Stimme einen Keil treibt.
    Und die Nacht der Schöpfung dauert an über der Welt.
    30 Die Zeit der »Wirren«, Ende des 16., Anfang des 17. Jh.s, war eine Zeit des Machtvakuums und geprägt von einer bürgerkriegsähnlichen Situation mit Bauernaufständen, falschen Thronprätendenten, ausländischen Herrschaftsansprüchen und Interventionen. [Anm.d.Ü.]
    31 Mit diesem Schimpfwort, das sich mit »Prisennehmer« übersetzen ließe, belegten die Raskolniki ihre Widersacher, weil diese das Kreuz mit drei Fingern schlagen – so, wie man eine Prise nimmt – statt wie herkömmlich mit zwei bzw. fünf Fingern. [Anm.d.Ü.]
    32 Der Überlieferung zufolge versank das legendäre Kitesch, das keine Befestigungsmauern besaß und zum Schutz vor den angreifenden Tataren Gott um Hilfe anflehte, in einem See. Frommen soll es mitunter gelingen, die Stadt auf dessen Grund zu erkennen. [Anm.d.Ü.]
    33 Im Innenraum »gab es eine Muttergottes- und ein, zwei Heiligenikonen. Vor ihnen hingen lichtlose Lämpchen, ihre Vergoldung war trübe vom Rauch. Auf dem Boden lagen Räucherkerzen, ein Weihrauchgefäß, ein Bündel Wachskerzen und ein Holzkohlebecken …« (Trevor-Battye,
Ice-Bound on Kolguev
, Westminster, 1895, S. 190)
    34 Also nicht jenes evangelische der
Verklärung
auf dem Berg Tabor: »… und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.« (Mt. 17,2)
    35 Siehe zum Beispiel: Stanislav Grot,
Geburt, Tod und Transzendenz. Neue Dimensionen der Psychologie
, Hamburg, 1985, (
Beyond the Brain
, 1985); Wassili Nalimow und Schanna Drogalina,
Real’nost’ nereal’nogo
[
Die Realität des Nichtrealen
], Moskau, 1995; Roger N. Walsh,
Der Geist des Schamanismus
, Düsseldorf, 2005 (
The Spirit of Shamanism
, 1999).
    36 Siehe »Das Buch der beigelegten Seiten«, III.

Die Nacht in der Tundra
vom Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang
    Die Nächte sind unermüdlich.
    Die Nächte sind heilsam.
    Denn tagsüber ist uns alles verschlossen. Dem Tag haben wir das Lebensnotwendige zugewiesen, der Nacht aber das Wesentliche. In ihrer tiefen Stille tut sich das Himmelsgewölbe ein wenig auf, wird transparent, und der uns erfassende Zugwind senkt in unsere Seele eine Ahnung jener großartigen Bewegung, in die wir für den kurzen Augenblick unseres Lebens hineingezogen sind. Die breit entfaltete Sternenkarte. Sie hat sich anscheinend nicht sonderlich verändert, seit die Phönizier oder Ägypter die erste Atlantikfahrt unternahmen.
    Der Mond.
    Mit etwas Glück: auf dem Wasser ein Lichtstreif, oder ein Reflex im Schilf erstarrt zur Scheibe, und plötzlich zu sich davonschlängelnden schütteren Splittern zerschmettert vom Sprung des Frosches, der unvermutet uns weckt aus den unendlich sich dehnenden drei Zeilen Bashōs.
    Der Mond im Netz des Geästs.
    Kaum schwellen die Knospen, kaum brechen sie auf, kaum entrollt sich das junge Grün und gruppiert sich zu etagenreichen, von Stimmen, Schatten und Rauschen erfüllten Palästen, da beginnt das Laub schon zu fallen: aufflammendes Rot und Gelb, dunkle, raue Adern hervortretend aus fahlem Gewebe. Löcher im herrlichen Schirm. Rascheln, herabsegelnde Blätter. Dann – die Leere, ausgespannt zwischen den Ästen wie ein Spinnennetz. Vereinzelt klopft im Wind ein Baum mit knöcherigem Finger.
    Der Tod, wie es scheint.
    Schnee. Prächtig, frisch, lebendig.
    Im Frühling tropft aus den Zweigen, die der fallende Schnee abbrach, der gelbe Saft auf den Harsch. Es gibt keinen Tod – nur einen Rhythmuswechsel,

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