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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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unterrichteten die Kelten im Gerberhandwerk, im Vergolden von Schuhen, in der Kriegskunst. Mehrfach heißt es, gegen die Síden zu streiten »gleicht dem Kampf mit einem Schatten«. Die Síde verstanden sich nicht nur darauf, den Waffen magische Kraft zu verleihen, sie konnten den Menschen auch besondere Kampftechniken beibringen. Es galt als Ehrensache, sich von einem Síd oder dem Abkömmling eines Síd im Kriegshandwerk unterweisen zu lassen. Die weiblichen Síde waren Meisterinnen in der Goldwirkerei wie in Gold- und Silbernäherei. Sie, die weiblichen Síde, waren es, die den Menschen die Grundlagen der Alltagsmagie – der Kräuterkuren und des Besprechens – beibrachten, und von ihnen auch gingen die religiöse Pflicht wie das Vermögen, schwere Leiden, insbesondere den Aussatz, durch Handauflegen zu heilen, auf die Könige über. Hier sind wir von den ausschließlich kulturellen Aufgaben der Síde unmerklich wieder zu ihren magischen Fähigkeiten gelangt – eine Unterscheidung, die im Übrigen für den heutigen Menschen von Bedeutung ist, während für den frühmittelalterlichen die beiden Funktionen in einer natürlichen Einheit existierten.
    Eine der seltsamen Fähigkeiten der Síde war die Geräuschkunst. In den Erzählungen taucht häufig eine seltsame Wendung auf: »Es war nichts zu sehen außer dem Geräusch.« Dieses ganz charakteristische Sídengeräusch wurde später zum Symbol der Feen und Elfen.
    Das erste der organisierten Geräusche ist der Glöckchen- und Trommelklang hinter der Schulter eines Verstorbenen. Das Lachen einer Sídenfrau ist nicht vom metallischen Glöckchenklang zu unterscheiden. Als Zeichen ihres Besuchs hinterlassen die Síde ein Gebinde aus Glöckchen, einen Silberzweig mit läutenden goldenen Blumen oder eine apfelförmige Metalltrommel (»Das Abenteuer Conles«). In »Fingens Nachtwache« erscheint die Sídenfrau Rothniam in einer Geräuschaureole, in der außer Glöckchen und Trommeln noch Vogelgesang, -schreie und -rufe erklingen. Nicht selten sind die Síde am Klirren der dünnen Ketten zu erkennen, mit denen die Zaubervögel zu Paaren verbunden sind.
    Hier kommt im Übrigen noch eine wundersame Kunst der Síde ins Spiel: die Kunst der Metamorphose, von Verwandlung, Sinnestäuschung und Trug. Bevorzugt nahmen sie die Gestalt von Vögeln an – insbesondere dann, wenn sie mit den Menschen in Kontakt treten mussten und ihr wahres Antlitz nicht offenbaren wollten. Als Schwellenwesen war es ihnen anscheinend ursprünglich ein Selbstverständliches, von einer Erscheinung in die andere zu schlüpfen ohne weiteren Vorteil für sie selber, einzig kraft elementarischer Verwandtschaft: Wiederholt wird gesagt, dass die Síde sich auf dem Wasser wie in Himmelshöhen frei bewegen. In der »Zerstörung der Halle Da Dergas« gibt es einen deutlichen Hinweis auf die Verwandtschaft der Síde mit anderen Wesen. Die Krieger auf dem Meere verkünden dem König, der selbst von entfernt sídischer Abstammung ist, eines der Verbote: »Du darfst keine Vögel töten, denn es gibt nicht einen unter ihnen, der dir nicht von Vaters wie Mutters Seite nah wäre.« Trug und Sinnestäuschung, eine Art »Kino im Kopf«, das die Síde für den uneingeweihten Betrachter in Bewegung setzen, all diese gestaltförmigen Fallen, deretwegen man sie später in enge Verbindung mit dem Trickster brachte, sind leider Ausdruck eines veränderten Verhältnisses der Tuatha Dé Danann und der Menschen. Genau genommen gehen sie einher mit dem zunehmenden Auseinanderklaffen von Raum, Zeit und Sinn bei den Síde einerseits und den Menschen andererseits.
    Die
erste Phase
der Beziehungen zwischen den Menschen und dem Volk der Danu lässt sich als
bewusster Kontakt
beschreiben. Für den Menschen, der unter den sagenhaften Gesetzmäßigkeiten der Horizontale – von Weg, Urwald und Fluss – lebte, also unter andersgestaltigen, von ihm grundverschiedenen und ihm nicht untertanen Wesen, war das Zusammenleben mit den Síde, die für ihn, wenn man so sagen kann, nicht stärker »anders« waren als Sterne, Vögel und anderes Getier, vollkommen normal. Die Síde wiederum, die ihre einstige Größe als Götter und Demiurgen der Insel noch nicht vergessen hatten, scheuten nicht davor zurück, mit den Menschen in Kontakt zu treten, um ihnen zu helfen, manchmal auch einfach, um die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Schon das Äußere der Síde unterstrich ihre Auserwähltheit und Besonderheit. Einige von ihnen (Brân aus

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