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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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ist
Féth-Fiada
.
    In den ältesten Textfragmenten gibt es keinerlei Hinweis darauf, worum es sich handelt – der Gegenstand muss den Zeitgenossen vertraut gewesen sein. Dasselbe gilt noch für spätmittelalterliche Quellen – auch in dieser Zeit wusste man also, wovon die Rede war. Nur der heutige Mensch weiß es nicht. Dank umfänglicher etymologischer, textologischer und semantischer Forschungen konnte schließlich rekonstruiert werden, dass es sich bei Féth-Fiada um einen besonderen, seltsamen, nur den Síde assoziierten Nebel handelt, um einen Zaubernebel, einen Dunst, der die Orte, an denen Síde erscheinen, einhüllt. Darüber hinaus ist Féth-Fiada das erste Anzeichen, an dem die Menschen die Gegenwart der Síde erkennen können.
    Doch beschränken sich die Eigenschaften von Féth-Fiada nicht auf das Verbergen. Unter seiner Hülle verfremden sich auch Zeit und Raum jedes beliebigen, noch so gewöhnlichen Ortes und gewinnen Züge, die ihnen sonst in der verborgenen Welt der Síde eignen.
    In »Das Werben um Étaín« (I) senkt sich auf den in einer Tagesreise seine Ländereien abfahrenden König Féth-Fiada herab und »zerstreut die nächtliche Finsternis, trübt die Sterne, verschont von Hunger wie Durst der langen Zeit«. Wie der Schlaf verändert Féth-Fiada die Struktur des Lebens, legt die Zeit in einen solchen Kringel, dass im Verlauf des Tages, den der erfolglos Umherfahrende unter seiner Hülle verbringt, neun Monate vergehen.
    In den Sagen des ersten Zweigs des
Mabinogion
lauschen, eingehüllt von Féth-Fiada, die Reisenden verzaubert den Vögeln der Rhiannon, so dass sie sieben Jahre lang die Weiterreise vergessen. Und in »Das Werben um Étaín« (III) beschließt ebenjener erfolglose König, nachdem er den Zauber von Féth-Fiada abgeschüttelt hat, seine (wie er glaubt) ein Jahr zuvor entführte Frau aus einem Síd zu befreien – aber wie sich herausstellt, ist diejenige, die er für seine Frau hielt, die Tochter von deren Tochter.
    Unter dem Zaubernebel ändert sich in der Regel auch der Raum. Vertraute Landschaftsdetails verschwinden, und die Welt der Síde »tritt hervor«. Vereinzelt sind dies sídische Bauwerke von so prächtiger wie seltsamer Architektur, meist aber verändert sich die Örtlichkeit durch »hervorwachsende« zusätzliche Hügel, eindeutig Zaubersíde, und etliche Seen, die berühmten sídischen Zauberseen, die dem Volksglauben nach dem Kessel des Dagda gleichen.
    Féth-Fiada verfremdet nicht zuletzt die Natur der Geräusche. Die üblichen Klänge werden von der Nebelmasse geschluckt, stattdessen sind seltsame Töne aus der Welt der Síde wahrnehmbar. Normalerweise sind dies das Rauschen der Wellen, das Pfeifen heftiger Windböen (die bei dichtem Nebel zu hören objektiv unmöglich ist), das Schreien von Vögeln, die dem Eingehüllten auch vor Augen treten können. Ebenso gewinnt der in Féth-Fiada geratene Mensch neue Züge. Bekanntlich geleiten gerade die Síde den Menschen in die andere Welt. Im Verlauf einer solchen Reise erlangen die Toten Wissen, Sehergabe und andere außergewöhnliche Fähigkeiten. Im Augenblick der Rückkehr meint der Reisende, er »erwache«. Offensichtlich ist deshalb in der irischen wie der walisischen frühmittelalterlichen Tradition das Genre der
Träume
so populär.
    In »Werben um Étaín« (II) wird ein von den Síde verwendetes Jochgeschirr beschrieben. Bis dahin hatten die Menschen einfach ein Gewirk aus Strängen um den Kopf eines Zugtiers geknotet. Nun konnten sie Gespanne fahren. Die ersten Merowingerkönige etwa praktizierten feierliche Ausfahrten in Ochsengespannen, nicht zuletzt, um eine besondere Kunstfertigkeit vorzuführen: das Lenken von Jochtieren.
    Die Síde beherrschten die Kunst der Bewässerungsarbeiten, verstanden sich auf Deich- und Wehrbau. Ihr Geschick in der Metallbearbeitung findet besondere Beachtung. In der »Zerstörung der Halle Da Dergas« werden detailliert goldene, silberne, kupferne Kämme, Schnallen und Broschen einer sídischen Schönheit beschrieben, und König Eochaid trifft beim Hügel Brí Leíth auf einen Síd, der sich über einem Eimerchen wäscht: »aus Silber mit vier goldenen Vögelchen an den Seiten, mit vier goldenen Glöckchen auf jedem Vogel, auf dem Rand kleine Edelsteine und Tiere mit allerliebsten Gesichtern«. Feine Ziselier-, Filigran- und Zellenemailarbeiten, Edelsteinverzierungen, das Aufschmelzen unterschiedlicher Metalle – all dies beeindruckte die Menschen. Die männlichen Síde

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