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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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gewissen ehrfurchtsvollen Vorsicht positiv geschildert. Ja der Begriff der »weißen Welt«, Gwenwed, Welt der Ruhe und des Glücks, »jene« Welt, taucht im Kontext der Síde auf. In deren Welt dominieren glückliche Gestalten und helle Töne: die Gewänder, der Nebel, alles ist weiß oder silberfarben. Im Übrigen geht die Zunahme des Motivs von Weiß und Silber sowie des leuchtenden Äußeren einher mit der Zunahme des Motivs vom Dünner- und Unsichtbarwerden. So ist immer weniger von den Síde selbst die Rede, dafür rückt Féth-Fiada ins Zentrum. Einem Síd zu begegnen wird zur Auszeichnung. Der berühmte Barde David ap Gwilym war einer Begegnung mit Gwyn, dem Sohn des Nudd, würdig, und der heilige Collen, ein Mönch aus dem 7. Jahrhundert, erzählte ohne Furcht um seinen Ruf als christlicher Heiliger unermüdlich davon, dass er selbst in einem Zauberhügel war. Auch der berühmte Chronist Geoffrey von Monmouth trat eigener Aussage zufolge mehrfach mit den Síde in Kontakt. Aber in dieser zweiten Phase der Beziehungen von Síde und Menschen entfernen beider Welten sich unablässig voneinander. Hiervon zeugt unmissverständlich »Die Zerstörung der Halle Da Dergas« – es ist die tragische Geschichte vom Einstürzen der Pfeiler, der Zerstörung der Tradition, denn die Tuatha Dé Danann trugen ja die alte Weltordnung. Die Síde wie die Wesen, deren Gestalt sie annehmen konnten, »schotten« sich gleichsam von den Menschen »ab«, sie sind nicht nur nicht länger ihre Begleiter, sondern genau genommen schon kein Gegenstand der realen Welt mehr. Und wenn zu Beginn der Erzählung die Síde noch in einer ihrer positiven Erscheinungen auftreten – in Gestalt von wellenreitenden Kriegern und Vögeln –, so treten sie am Ende in Gestalt von Missgeburten und gefährlichen Zauberern auf (wobei es die Ironie der Geschichte will, dass einige Forscher in einem dieser Ungeheuer Merlin/Midir erkennen, den schönsten und berückendsten Síde, der den Menschen stets mit besonderem Eifer zu Hilfe geeilt war). All dies zeugt davon, dass die
dritte und letzte Phase
der Beziehungen zwischen Síde und Menschen begonnen hat. Die Welt der Letzteren verengt sich, verliert ihre Rückhalte im Paradoxen, die bis dahin dank der Síde ihrem Raum, ihrer Zeit und ihrem Denken eigen waren. Es beginnt die historische Zeit, die über die Erfahrung des Gewesenen verfügt.
    Der Verlust eines ganzen Segments der Welt wurde von den Menschen mit Trauer erlebt – eine Verfasstheit, von der, wie ich meine, die feinsinnigste und dramatischste Sage durchdrungen ist, »Das Aufziehen des Hauses der beiden Gefäße«. Die beliebteste Frauengestalt der irischen Literatur, die schöne Étaín, Síde und bester Zögling Manannáns, wechselt in die Welt der Menschen und lässt sich am Rande einer Stadt an eine Kirchenmauer nageln – sie zieht die ewige Ruhe auf dem Kirchhof der Rückkehr in die glänzende, verborgene, jenseitige Welt der Síde vor. So das Sujet. Doch uns interessiert hier anderes. Die herzzerreißende Abschiedsszene, das unauf haltsame Auseinanderstreben auf der linearen Achse von Étaín und ihrer Verwandtschaft. Ihr Abschied ist ein blindes Auseinandergehen, denn Féth-Fiada ist bereits so dicht, dass weder Étaín und die sie begleitenden Menschen die Síde sehen können noch diese sie. Die Welt der Menschen ist bereits derart anders, dass die Síde ungeachtet ihrer besonderen Fähigkeiten den Nebel nicht zerstreuen können – und sei es nur von ihrer Seite aus. Er ist dermaßen dicht, dass unter seiner Hülle die Zeit der Síde und die Zeit der Menschen unerbittlich auseinanderstreben. In der Welt der Menschen hört Étaín nicht auf, sich über die Seltsamkeit von Kleidung, Bauwerken und Bräuchen zu verwundern, was davon zeugt, dass Síde und Menschen einander längst fremd geworden sind – in einem Maß, dass sie den Ablauf ihrer Zeiten nicht mehr zur Deckung bringen können.
    In den weiteren Erzählungen bekunden die Menschen wachsende Aggressivität gegenüber den Síde, das bringt etwa der Ton von »Der Tod Muirchertachs, des Sohnes Ercs« deutlich zum Ausdruck. Immer häufiger verwirren die Síde gutgläubigen Königen den Verstand, um sie von ihrem Weg eines wohlanständigen Christenmenschen abzubringen. Das sind ideologische Tricks, menschliche Einfälle. Doch die Síde merkten vermutlich, dass weiterer Kontakt mit den Menschen hoffnungslos war und gingen voller Würde in ihren unendlichen Raum fort.
    Die menschliche

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