Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
dem
Mabinogion
) stützten mit ihrem Kopf den Himmel oder liefen zwischen Britannien und Irland durchs Meer. Manchmal zeigten sie sich in flüchtiger Gestalt; dann gingen sie übers Wasser, als wäre es festes Land, oder flogen stolz auf den Schößen ihrer Gewänder bis zu den Wolken hinauf, zwischen denen sie umhersegelten (dessen rühmt sich insbesondere Midir). Dennoch glichen sie den Menschen – wohl aufgrund der Nähe zu ihnen –, nur waren sie bedeutend schöner (die Schönheit der Sídenfrauen ist sprichwörtlich), ja mitunter gewannen sie leuchtende Gestalt. Die Menschen verspürten gegenüber den Síde kein Minderwertigkeitsgefühl und wandten sich ohne Umschweife mit Bitten an sie. So legte Midir einen Sumpf trocken und baute Wehre. Und zur Zerstreuung der Könige erfand er ein Brettspiel, Fidchell, das bis ins 13. Jahrhundert populär war. Manannán nähte herrliches Schuhwerk, das er auch vergoldete, sídische Frauen bestickten Gewänder für die Menschen.
Ungeachtet ihres berückenden Äußeren und ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten widerstrebte es den Síde nicht, eine Verbindung mit einem Menschen einzugehen. In »Die Schwäche der Ulter« heiratet Macha einen König und gebiert ihm zwei Kinder. Die Mutter des Cúchulainn, Dechtire, entstammt einem Königshaus, während sein Vater allem Anschein nach ein Síd ist, nämlich Lug der Langarmige, einer der höchsten Götter der Tuatha Dé Danann. Auch die Bewohner von Leinster und Ulter führen ihre Herkunft auf die Síde zurück. Der berühmte Fionn bezeichnet sich als Spross des Nuadu Nécht (Silberhand) aus dem Hügel von Allen, worüber sein Sohn Oisín offenbar dem heiligen Patrick von Irland selbst berichtete. Wenn eine Beziehung zwischen Mann und Frau sich besonders dramatisch und heftig gestaltet, so verweist dies auf eine Einmischung der Síde. Normalerweise ist in den Überlieferungen eine Hochzeit unter Menschen für die Erzählung von wenig Interesse und findet nur mit dem schlichten Satz »und sie schliefen miteinander« Erwähnung, während die Liebe zu einem oder einer Síd stets von Dramen begleitet ist, von Seelenanspannung, Wahl und Abenteuer. In »Cúchulainns Krankenlager und Emers einzige Eifersucht« hintergeht der in eine Síde verliebte Held seine geliebte irdische Gattin, womit er beide Frauen und sich selbst zu Leid verurteilt; zuletzt unterbreitet er der Síd die Möglichkeit einer großherzigen Wahl. Nicht weniger Leidenschaft tobt wegen der schönen Étaín und des in sie verliebten Midir in »Werben um Étaín« (III). Gerade anhand dieser Erzählung können wir sehen, dass der Umgang von Síden und Menschen alltäglich war: Der in seiner Ehre gekränkte König fürchtet die sídischen Zauberkünste nicht, er zieht gegen den Síd in den Kampf und gräbt dessen Hügel bis zu den Grundfesten auf. Erst später glaubte man, durch Antasten eines Zauberhügels den Zorn von dessen Bewohnern auf sich zu ziehen.
Diese Art der Beziehungen ist typisch für die
zweite Phase
. Sie lässt sich als
die Zeit der zufälligen Begegnungen
beschreiben. In Irland verbreitete sich das Christentum auf überaus organische Weise, es entfesselte keinen zügellosen Kampf gegen die Fili (Barden, Dichter) und erst recht nicht gegen die Síde. Dennoch verschwinden die Sängerschulen rasch, und die von den Fili studierten, besungenen und verstandenen Síde geraten in veränderte Position. Immer häufiger wird wie nebenbei ihr dämonisches Wesen, ihre Zugehörigkeit zur
unteren
Welt betont, sie selber zeigen sich den Menschen weniger. Immer häufiger ist die Rede davon, dass sie sich unvermittelt in Luft auflösen, verschwinden – mit anderen Worten: es bestand größere Notwendigkeit hierfür. Sie bleiben nach wie vor äußerst schön, aber ihre Körpergröße schrumpft, was in den Erzählungen mehrfach Erwähnung findet. Fortan schützt die Síde zuverlässig ihr
anderer
Raum, wohin man als Mensch zwar gelangen kann – so Brân oder Conle, Sohn von Conn der Hundert Schlachten –, allerdings nur noch zufällig, als ungebetener Gast. Sich in einen Zauberhügel aufzumachen gilt durchaus schon als Heldentat. Nicht selten gerät man im Schlaf hinein – aber es handelt sich nicht mehr um einen Korridor in eine geheimnisvolle Welt, vielmehr haben wir es schon mit einer im Grunde jenseitigen Welt zu tun, wenn auch – ungeachtet der christlichen heiligen Geometrie – immer noch ohne chthonischen Schlund. Insgesamt wird die Welt der Síde mit einer
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