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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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ihre Kraft, darüber, was sie können und was sie nicht können, schweigen überhaupt. Reden bedeutet, seine Kraft zu verlieren.
    Ein Mann war es leid, unverheiratet zu sein, und so schnitzte er sich aus einer Baumwurzel eine Frau. Er redete für die Frau und antwortete auch für sich selber. Eines Tages, als er von der Jagd zurückkommt, fragt ihn die Wurzel: »Na, was hast du erlegt?« Er: »Nichts.« Darauf die Wurzel: »Na, wenn nichts, dann ess ich jetzt dich.« Da ist er erschrocken, hat die Wurzel kurz- und kleingehackt und verbrannt.
    Das Gänseteilen ging so: Erst wurden viele erlegt, dann begann die Teilung: Alle Gänse werden auf einen Haufen geworfen, und die Jäger stellen sich im Kreis drumherum auf. Dann wird »Zupacken!« gerufen, und jeder langt sich eine. Und nochmal »Zupacken!« und wieder zugelangt. »Zupacken!« und so bis zu vier Malen. Den Rest haben sich dann die genommen, die es brauchten, die eine große Familie hatten, weil sie sonst nicht über die Runden gekommen wären.
    Einmal hatten wir mit Russen zusammen gejagt, und ich hatte gesehen, dass der russische Natschalnik eine schöne fette Gans erlegt hat … Wie könnt ich mir die unter den Nagel reißen?, denk ich – vielleicht so: Wenns ans Teilen geht, dann legt der Russe seine Gans auf den Haufen, auf die stapeln wir dann andere drauf, und wenn ich das Kommando gebe, dann fingert der Kusma, schnapp, drunter und packt sich die graue weg. Gut, die Gänse werden also aufeinandergeworfen, wir im Kreis drumherum. »Zupacken!« Da packt der Russe seine Gans sofort am Kragen. »Meine Gans war eine fette«, lacht er. Hat geahnt, dass wir ihn reinlegen wollten, der russische Natschalnik, aber er hat sich nicht übers Ohr hauen lassen.
    Bei uns gibt es so einen Wettkampf, da ziehen sich die Gegner gegenseitig an einem Riemen über den Schlitten. Pawel Soboljew hat mich rausgefordert und fünf Rene gesetzt: »Die Jahre gehn rum«, hat er gesagt, »und wir beide haben noch immer nicht miteinander gekämpft.« Ich schlug ein. Nur: rausgefordert hat er mich – aber den Riemen ergreift er nicht. Wenn du den Riemen vor Zeugen ergreifst, dann gibts kein Zurück mehr. Verlierst du, dann verlierst du halt. Aber irgendwie hatte er sichs anders überlegt, sagt: »Du, du isst gut, ich aber mehr schlecht als recht, da hat man keine richtige Kraft …« Und er blies die Sache ab …
    Den Rüden kriegten wir als Welpen von Russen, er lief sehr schnell und hat Füchse schnurstracks eingeholt (Füchse geben überhaupt schnell auf: rennen ihre fünfzehn Kilometer, dann ermüden die Hinterläufe, und sie fangen an zu lahmen). Ich hab ihn zum Jagdhund abgerichtet und nie zu den Renen gelassen, weil er die nämlich auf der Stelle zu jagen anfing. Im Frühling ist er mal einem Bullen hinterher, den hat er zu Tode gehetzt – der kriegte stocksteife Beine: Muskelkrampf.
    Wir haben ihn Jamdo gerufen (»Kurzfell«). Einmal hab ich auf der Jagd mitgekriegt, wie der Jäger, Jefim, einem Fuchs nachstellt. Jamdo sieht den Fuchs, hängt sich an seine Fersen, hetzt ihn weg und schnappt ihn sich, ein paarmal geschüttelt – und das wars. Er hat uns den Fuchs dann in den Tschum gebracht.
    Auch zwei schwarze Polarfüchse hat er gefangen.
    Ich hab ihn geliebt und sehr auf ihn aufgepasst, besonders auf seine Läufe. Hab ihn immer auf dem Schlitten mitgenommen, bis wir im Jagdgebiet waren.
    Sein Ende kam so: Im Krieg ging der Schule das Brennholz aus, da wurden die Hunde aus der ganzen Tundra eingesammelt und zum Holzholen angespannt. Auch den Jamdo haben sie geholt. Aber der konnte weglaufen aus Bugrino, und offenbar hatte er Hunger, er hat einen Fuchsköder gerochen und ist in die Falle gegangen. Und da ist er erfroren.
    In den dreißiger Jahren gab es einen Jäger, Bolschakow, der fiel dadurch auf, dass er den Schlitten ohne Chorej 66 lenkte. Damals waren die Rene schnell und ausdauernd. Ich hatte keine Rene für rasante Fahrten und wollte auch keine haben, ich wollte immer Transporttiere. Wir hatten mal ein Ren, das war stark wie ein Pferd. Wir fanden einfach kein gleich starkes – jedes andere mit ihm zusammengespannte wär kaputtgegangen.
    Aber im Krieg, 44/45, als wir mit den russischen Landvermessern gearbeitet haben, da hatte ich ein Gespann guter Fahrtiere, das sehr schnell war. Fallen überprüfen konnte man mit denen nicht: Halte machten die wütend. Mit dem Gespann bin ich eines Tages mit dem Natschalnik von der Expedition, Arkadi, ins Dorf einen heben gefahren.

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