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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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hatten von nichts eine Ahnung.
Die Vereisung
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    Ich weiß nicht, in welchen Jahren es Vereisungen gab. 64 Wir sind in die Tundra raus, die Rene suchen. Der Vorsitzende auch. Irgendwann sind wir in den Schuppen von jemand gegangen, Tee trinken. Holt der Miron seinen Sack und sagt: »Wer Geld hat, sollte sich was schämen, anderer Leute Essen zu essen.« Da hol ich meinen auch.
    »Was machst du da?«
    »Na, wenn einer Geld hat, sollt er sich was schämen, andrer Leute Essen zu essen.«
    Danach gings zur Faktoreiherde. Miron als Vorsitzender gab jedem zwei Rene, damit wir die Tiere mit Schlitten suchen fahren. Aber ich wollte keine. Die wären bloß krepiert. Und ich hätt sie ersetzen müssen. Aber der Miron, der war schon wegen vorher beleidigt und hat gesagt:
    »Nein, wie geizig du bist. Hast nicht mal Mitleid mit deinen Beinen.«
    Aber ich hab doch gesehen: Die Rene schaffen keine zwei Kilometer, und aus ists mit ihnen. Außerdem war das andere ja bloß ein Scherz. Ich hab einfach gesehen, dass es nichts bringt, die Tiere anzuspannen.
    Gefunden haben wir sie dann beim Punatsch-Hügel, auf der Nordseite.
    Es gab noch ein schlechtes Jahr mit Eisrinde. Dabei stießen wir beim Suchen in der Tundra zufällig auf meinen Tschin, meinen Schuppen mit den Lebensmittelvorräten. Wir nehmen uns also eine Kondensmilch, kochen Tee. Aber wie der Stepan sich Kondensmilch nehmen will, schnappt der Kusma (das ist der Bruder von meiner Frau) ihm die Büchse weg: »Zwieback reicht für den.«
    Die Frau darauf: »Unsinn, wer knausert denn mit einer Büchse Kondensmilch?«
    Kusma hatte einen üblen Charakter, war hitzig, er hat getrunken. Der Alkohol hat ihn dann auch umgebracht. Aber damals hat er die ganze Kondensmilch allein gelöffelt und dem Stepan nur die leere Büchse gegeben, zum Ausschwenken mit Tee.
    Die Rene zusammenzutreiben fingen wir an, als die ersten aufgetauten Stellen zu sehen waren. Die Kälbchen und die Choren – alles krepiert. Manch einer musste das Holz zu Fuß vom Strand holen. Viele gingen sogar die Fuchsfallen zu Fuß aufstellen. Polarfüchse gab es in dem Jahr ziemlich viele. Aber die meisten hab ich gefangen, und der Vater von Sanko (Alexander Michajlowitsch). Manche krochen wochenlang bei andern unter. Der alte Pawel ist sogar losgezogen, seinen Sohn suchen, den Afonja, so lang war der weg. Manch einer hatte gar keine Lebensmittel mehr, nur noch Renfleisch. Wenn es zu so einer Vereisung kam, wurden sofort fünf, sechs Tiere geschlachtet. Weil, die Regel war: Sie krepieren ja sowieso. Der alte Pawel fuhr zum Jefdokim ins Lager, ihn um einen ganzen Sack Mehl bitten. Auch andere zogen von Lagerplatz zu Lagerplatz, untereinander tauschen: Mehl, Zucker, Tee, weil, es gab ja keine Rene, um ins Dorf zu fahren, und zu Fuß war es weit. Ich hab dem alten Pawel ein Fass Fleisch aus der Herbstschlachtung gegeben, für einen neuen Fahrschlitten. Nach einer Zeit kommt er mit noch einem Schlitten, bittet mich noch mal um Fleisch. Sag ich ihm: »Geh zu meinem Vorratsschuppen, und nimm dir ein Fass.« Sagt er doch tatsächlich: »Das ist mir zu weit.« Wie, begreif ich nicht – er brauchts und will nicht hingehen?! Er hatte erwachsene Söhne, ausgesprochene Faulpelze. Er hat sein Lager ganz allein durchgebracht. Hat da Mehl geholt, da Zucker, da Fleisch …
    Nach dem Jahr gabs ein paar Jahre ohne Eiskruste. Und manche konnten ihre Herde wiederherstellen. Am meisten hatte der alte Wanka gelitten (der Vater von Klawdi Iwanowitsch Ardejew), er hatte nicht mal mehr Tiere, um seinen Tschum zum neuen Lagerplatz zu bringen. Auch Kostja hatte gar keine Rene mehr. Und Kusma, der war ruiniert, der ging dann als Hirte zur Sowchose.
    Auch 1952 war ein schlimmes Jahr. Da haben nur wenige Rene überlebt. Sogar Kühe, die Kälber hatten, wurden angespannt (die Kälber laufen dann neben dem Schlitten her). Damals ist mir die Hälfte der Herde gestorben. Dem German sind alle krepiert, auch dem Sjamda.
    Dass überhaupt welche gerettet wurden, lag daran, dass die Erde nicht überall vereist war. Die Alten haben den Jungen geraten, die Tiere nicht zusammenzuhalten, sie frei rumlaufen zu lassen: Wenns irgendwo Nahrung gibt, haben sie gesagt, dann finden sie die am besten.
    Wir ließen die Rene frei, danach begann eine fröhliche Zeit: wir gingen unentwegt auf Besuch. Die Tschums liegen ja nicht weit auseinander, zehn, zwölf Kilometer. Sind uns also wechselseitig besuchen gegangen. Wir haben sogar Wodka getrunken.
    Im Frühjahr waren die

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