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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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Zurück waren wir schwer benebelt. Die Rene flitzten nur so. Arkadi brüllt: »Gehts nicht langsamer?!« Hast du nach vorwärts geguckt, ist dir der Schnee ins Gesicht gepeitscht, nach rückwärts – hast du den Schwindel und eiskalte Hände gekriegt …
    »Ich treib sie nicht an«, brüll ich zurück, »die laufen so von allein. Und werden nicht langsamer, eh sie sich ordentlich warmgelaufen haben.«
    Von dem Tag an hat Arkadi sich vor ihnen gefürchtet. »Du hast so viel Rene, Nikita«, hat er zu mir gesagt, »aber spannst immer die vor.«
    Genau mit den Renen ist Kostja nachher, als ihm die Frau gestorben war, zum alten Wanka gefahren, um bei ihm um die Hand seiner Tochter anzuhalten, die Witwe war. War ein nichtsnutziger Kerl, der Kostja. Hat sich also die Tochter genommen, dann besteigen die beiden den Schlitten, um den Rückweg anzutreten. Er treibt die Rene an, und hast dus gesehen: kein Kostja mehr auf dem Schlitten! Es gab keine größere Schande als runterzufallen. Wem sowas passiert, der taugt wirklich gar nichts. Der Kostja liegt also im Schnee, alle Viere in der Luft.
    »Was machst du denn da? Wie hast du das hingekriegt?«
    »Ich wollte mich festhalten, aber da war der Schlitten schon weg.«
    Ein starkes Gespann kann in der Tundra bis zu vierzig Stundenkilometer fahren.
Die Expeditionen
.
    Alles hab ich im Leben gemacht: Holzstämme transportiert, Fisch gefangen, mit den Expeditionen Baken gebaut. Immer und immer. Die haben mich nie in Ruhe gelassen, bloß an der Eisenkette im Gefängnis hab ich nicht gesessen. Warum die so mit mir umgegangen sind, werd ich nie verstehen.
    Mit den Expeditionen, das war hart, aber sie haben gut bezahlt. 1944/45 hab ich mit Arkadi gearbeitet, Baken gebaut. Einen ganzen Monat hab ich Holz auf den Artelny Sopok raufgeschafft, über zweihundert Stämme, aber die Bake ist dann nicht gebaut worden. Auch zur Pestschanka rüber, wieder einen ganzen Monat lang. Und alles mit meinen Renen, einen ganzen Winter lang Holzstämme transportiert.
    Arkadi war sehr geschickt, sehr stark. Ist mit den Renen sehr schnell gefahren. Anfangs war er ein bisschen verärgert über mich. Mir lief vom Stämmeaufladen die Brühe runter, er dagegen – putzfrisch. Ich wisch mir also mit der Hand die Stirn, um zu sagen, meine ist nass und deine trocken. Das hat ihm gar nicht gefallen. Er warf seinen Mantel weg und steht nur noch im Pullover da. Und fängt an aufzuladen. Zwei Schlitten, wenn ich gerade einen schaffte. Wir zwei haben gut zusammengearbeitet, obwohl ich kein Russisch konnte. Einmal fragte er immer wieder:
    »Was für ein Untergrund ist hier?«
    Aber ich verstand nicht, was er will.
    Da nimmt er die Axt und hackt auf den Boden ein, zeigt mit dem Finger drauf:
    »Der Untergrund! Was für ein Untergrund?«
    Da hab ich gelacht, aber verstanden hab ich nichts.
    Im Krieg, da gab es eine Brigade, die hat ein paar Frauen von Lagerplatz zu Lagerplatz gebracht, die haben getanzt und gesungen. Halt so Kulturarbeit. Das waren Lehrerinnen und Arbeiterinnen aus der Faktorei und dem Geschäft. Auch zu uns sind sie gebracht worden. Anschließend wollten die Frauen, dass wir sie noch ins Nachbarlager bringen. Aber der Expeditionschef, Arkadi, hat gesagt: »Ich stell nicht ein Rentier für die ab. Wer sie hergebracht hat, soll sie auch wegbringen.« Die Rene waren vom Holzziehen schon völlig ausgelaugt. Ich hab mich gefragt, ob ich nicht Unannehmlichkeiten mit dem Vorsitzenden kriege, aber Arkadi hat gesagt: »Die Frage klär ich.« Auch der Andrianytsch, der ein ganz hoher Natschalnik war, hat keine Rene abgestellt. Am Ende sind sie zu Fuß zu den Nachbarn. War anscheinend nicht so weit.
    Der Holztransport ging, bis die ersten kahlen Stellen unterm Schnee hervorkamen. Da ist Arkadi weg nach Bugrino. Andrianytsch blieb. Er ist mit dem Theodolit geblieben, Stellen für neue Baken suchen. War ein guter Chef, hatte nichts bei sich, nur einen kleinen Kasten mit dem Tument. 67
    Einmal ist Andrianytsch der Kasten vom Schlitten runtergerutscht. Drei Tage haben wir dann gesucht. Mit dem Theodolit sieht man alles. Zum Beispiel eine Bake hinter einem Hügel. Bestimmt auch einen Menschen, der sich in einer Grube versteckt. Andrianytsch hat gesagt, das ist ein sehr gutes Tument, das haben Deutsche gemacht. Er trug Brille, ich nicht, wir hatten nicht die gleiche Sehschärfe. Aber manchmal hat er mich das Tument auf meine Augen einstellen lassen.
    Im Jahr drauf sind sie wieder gekommen. Die sie rumfahren sollten,

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