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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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konnten sich ihren Chef aussuchen. Da hab ich sofort »Arkadi!« gebrüllt. Kusma auch – weiß nicht mehr wen, so hat der Ananija den Muchin abgekriegt. Das war ein übler Kerl. Bei denen fing der Tag mit Fluchen an und hörte mit Fluchen auf.
    Am Lohntag bekamen alle sehr viel Geld für die Expedition. Kostja Winukan musste sich auf die Damenhandtasche knien, in die er sein Geld gestopft hatte, um sie zuzukriegen. Vor der Abreise hat mich der Oberkader von den Russen, Ossokin, in sein Zelt eingeladen. Die andern linsten rein, ahnten, jetzt gibts Wodka. Aber Ossokin ist raus und hat gesagt: »Ihr habt hier nichts verloren. Wir machen jetzt die Papiere fertig«, hat das Zelt zugemacht und gelacht: »Komm, jetzt trinken wir ein Gläschen, was?« Ich hab für Ossokin ein Ren geschlachtet und eingepökelt. Auch für den Arkadi. Der hatte aus Archangelsk einen Brief bekommen von seiner Verwandtschaft, dass sie ein Fuchsfell gekocht und gegessen haben, weil sie so gar nichts zu essen hatten.
    52 kam dann der Bautrupp, die Baken errichten: Leutnant Wlassow und zwei Matrosen, Minakow und Wessjolow. Wlassow war vierundzwanzig und einen Meter zweiundneunzig groß, hat vierundneunzig Kilo gewogen, er war riesig und sehr stark.
    Ich erinnere mich, wir waren mal dabei, eine Gänsesuppe zu kochen. Da sind wir zu den Matrosen, mal schnuppern, was die sich wohl so machen aus ihrem Büchsenfleisch? Und die haben an unserm Topf geschnuppert. Wir haben dann getauscht – und beide Seiten waren zufrieden.
    Mit Wlassow zu arbeiten war gut, aber schwer. Er hatte viele Instrumente dabei. Die Rene waren vollkommen ausgelaugt, hatten Abszesse am Hals. Da hab ich seine Uniformstiefel auf den Strand geschmissen. »Was ist los?«, fragt er mich. Ich: »Ihr seid zu dritt und wir sind zu dritt (
also Nikita selbst, seine Frau, sein Sohn
). Was habt ihr alles dabei, dass unsere Sachen auf zwei Schlitten gehen, und ihr braucht sieben?« Ich kramte ohne viel Federlesens in seinen Sachen und schmiss die Stiefel raus. Die Mütze mit der Kokarde hab ich ihm gelassen, die war ja ein Zeichen für seine Gelehrsamkeit. Fand dann noch eine Uniform mit Schulterstücken: »Die hättet ihr aber im Dorf lassen können.« Dann noch Ballons und Flaschen, die sie am Strand aufgelesen hatten. »Na«, sag ich da, »die werft mal weg. Beziehungsweise, ihr habt die Wahl: Könnt sie auch behalten, aber dann geht ihr zu Fuß …«
    Mit den Russen bin ich gut zurechtgekommen. Mit dem Inselkommandanten Maliny hatte ich keine Probleme. Weil, im Krieg hab ich nämlich oft Militärmaterial zum Sewerny gebracht, ich hab nie nein gesagt. Dort gab es eine Einheit. Der Oberst hätte beinah mal einen, der was transportieren sollte, erschossen, er hatte schon den Revolver rausgezogen. Damals war bei der Gussinaja so eine deutsche Mine angeschwemmt worden, und da ist extra ein Schiff gekommen. Haben alles Mögliche auf sechs Argischs (
Schlittenzüge
) geladen, dann hab ich sie da hingebracht, die haben die Mine auseinandergenommen, dann hab ich sie zum Sewerny gebracht und dann nach Bugrino. Fünf Tage am Stück haben die Rene geschuftet, dabei lag erst der erste Schnee, war November, es gab noch kahle Stellen. Also fuhren wir beim alten Wanka vorbei, ihm sagen, meine Rene können nicht mehr, wechsel sie gegen deine aus … Er aber: »Pah, bringt uns irgendwelche Russen her, was sollen wir mit denen, mach dich da hin, wo du herkommst.« Da sagt der Natschalnik: »Gib ihm Rene, wir müssen die Mine abtransportieren. Wenn wir das Schiff nicht erwischen, dann erschieß ich dich gleich hier, auf dem Sand.« Es fing schon an Nacht zu werden, da haben sie fix die Rene geholt und die Mine fortgeschafft. Hatten einen Schreck gekriegt. Mich hat der Natschalnik entlohnt, und ich bin weg.
    Das letzte Militärmaterial hab ich 1952 gefahren: neun Schlitten mit Gewehren, und ein Soldat dabei. Damals war das Leben sauer, aber ich habe wenigstens Geld bekommen. Davon habe ich Bonbons gekauft, Fruchtkissen, andere gabs nicht, und Kekse. Die andern beneideten mich oft um mein Leben. Aber was gabs da zu beneiden? Sie haben ja doch sehen können, wie ich mir die Bonbons verdient habe. Die wollten bloß selber keinen Finger rühren.
    60 Die Erzählung – im Original auf Nenzisch – wurde von Filipp Nikitisch Ardejew wenige Wochen vor dem Tod seines Vaters Nikita Timofejewitsch (1906-1993) auf Kassettenrekorder aufgezeichnet und wird hier gekürzt wiedergegeben.
    61 Diese Behauptung scheint

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