Die Insel - Roman
war geradezu unheimlich still.
Wenn nicht gerade ein Bodenbrett oder eine Treppenstufe unter meinem Gewicht knarzte und knackte.
Das Holz in diesem Haus schien mit Wesley und Thelma unter einer Decke zu stecken. Ist ja eigentlich logisch, dachte ich. Vermutlich steht es darauf, wenn sich nackte Körper auf ihm herumwälzen und es mit Blut, Schweiß und Sperma tränken. Aber nicht mehr lange. Ich war hier, um diesem Treiben ein Ende zu machen.
(Seltsame Gedanken gehen einem durch den Kopf in Stresssituationen wie dieser. Allein im Dunkeln durch ein fremdes Haus zu schleichen zehrt nun einmal gewaltig an
den Nerven. Man weiß nie, ob man nicht im nächsten Moment stolpert und auf die Nase fällt, ob man gegen eine Wand knallt, etwas umwirft oder jemandem in die Arme läuft, der nur darauf wartet, einem die Kehle durchzuschneiden.
Es würde zu weit führen, hier jedes Stolpern und Ansto ßen zu schildern, von den Schrecksekunden und den albtraumhaften Ängsten ganz zu schweigen, die mich auf meinem Weg durch dieses dunkle Riesenhaus begleiteten, wenn ich auf dem Gang um eine Ecke bog, im Zeitlupentempo eine Treppe hinaufschlich oder ein neues Zimmer betrat.
Es kam mir vor, als ob die Durchsuchung endlos lange dauerte, obwohl ich in Wirklichkeit nicht einmal eine Stunde brauchte, bis ich Wesley und Thelma gefunden hatte.
Eine Zeit lang dachte ich sogar, dass sie doch nicht im Haus waren und sich über Nacht auf den Kabinenkreuzer zurückzogen. Dann aber, als ich vorsichtig Stufe für Stufe die Treppe zum dritten und letzten Stockwerk hinauf stieg, drang ein seltsamer grummelnder Laut an meine Ohren. Erschrocken blieb ich stehen und lauschte. Erst blieb es eine Weile still, sodass ich fast glaubte, ich hätte mich getäuscht, doch dann hörte ich das Geräusch wieder. Abermals Stille. Und schließlich ein kräftiges Schnauben, wie von einem Tier. Einem Wachhund vielleicht?
Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich den Ursprung des Geräuschs erkannte: Es war ein Mensch im tiefen Schlaf.
Ein Mensch, der schnarchte.
Noch behutsamer als zuvor stieg ich die Treppe weiter nach oben. Obwohl ich mein Gewicht nur ganz langsam von einem Bein auf das andere verlagerte, knarrten die
meisten Stufen. Jedes Mal zuckte ich dann erschrocken zusammen, blieb reglos stehen und horchte so lange in die Dunkelheit, bis ich das Schnarchen wieder hörte.
Endlich erreichte ich den obersten Treppenabsatz.
Ich fand mich in einer großen Diele wieder, von der vier offene Türen abgingen.
Das Schnarchen, das hier viel deutlicher zu hören war als auf der Treppe, schien aus dem Zimmer rechts von mir zu kommen, dessen Türöffnung sich hell von der dunklen Wand abhob.
Ich schlich leise darauf zu.
Hier mussten sich Wesley und Thelma eingenistet haben.
Dass sie sich ausgerechnet so ein abgelegenes Zimmer zum Schlafen ausgesucht hatten, wo ihnen doch ein ganzes Haus zur Verfügung stand, kam mir in Anbetracht von Wesleys Verletzungen ziemlich seltsam vor. Warum drei Treppen hoch laufen, wenn es im Erdgeschoss eine ganze Reihe geräumiger und bequemer Zimmer gab?
Erst als ich in der Tür stand und die zwei Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers sah, war mir alles klar.
Natürlich!
Das war das einzige Zimmer im Haus, von dem aus man über die Bäume des Dschungels hinwegblicken konnte .
Und zwar bis zu den Käfigen.
Und meinen Frauen.
Von hier aus hätten sie mit Leichtigkeit die Flamme meines Feuerzeugs sehen können.
Aber nur, wenn sie aus dem Fenster gesehen hätten.
Dem Schnarchen nach zu schließen hatten sie nicht hinausgeschaut, denn wenn sie an den Käfigen ein Licht
gesehen hätten, hätten sie sich bestimmt nicht schlafen gelegt.
Neben dem etwas abgehackt klingenden Schnarchen drangen auch tiefe, regelmäßige Atemgeräusche aus dem Zimmer.
Also waren sie beide dort, und beide schliefen.
So hatte es wenigstens den Anschein.
Irgendwie war ich erleichtert, dass ich sie endlich aufgespürt hatte. Zumindest das Rätsel, wo sie sich aufhielten, war jetzt gelöst.
Andererseits wünschte ich mir, ich hätte sie nicht gefunden.
Was, zum Teufel, sollte ich jetzt tun?
Mir fielen nur zwei Möglichkeiten ein.
1. So schnell wie möglich aus dem Haus zu verschwinden.
2. In das Zimmer hineinzugehen.
Um ehrlich zu sein: Am liebsten hätte ich mich für Möglichkeit Nummer eins entschieden und wäre auf der Stelle von der Bildfläche verschwunden. Wenn ich blieb, würde mir mit Sicherheit etwas Schlimmes
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