Die Insel - Roman
sie nachts von ihrem Lager zur Grube krochen, nicht vom Licht des Feuers beschienen. Auch wenn wir Wesley noch so gut ablenkten, wollten wir kein Risiko eingehen.
Die nächsten paar Stunden über gruben wir mit bloßen Händen, Speeren, Tassen und Töpfen ein tiefes Loch in den Sand. Als Thelma uns fragte, was wir da taten, erklärten wir ihr, dass wir eine Latrine anlegten, damit niemand von uns mehr im Dschungel sein Leben riskieren musste. Sie schien das für eine gute Idee zu halten und half uns sogar beim Buddeln.
Bei der Arbeit kamen wir auf die Idee, uns aus Zweigen und Blättern einen Sichtschutz zu bauen. Am Schluss hatten wir zwei Kabinen mit etwa eineinhalb Meter hohen Wänden, hinter denen man uns aus dem Dschungel heraus nicht sehen konnte.
Falls es Kimberly und Billie gelang, in der Nacht unbemerkt zu dieser Latrine zu gelangen, konnten sie sich dort wunderbar auf die Lauer legen.
Ein Problem ergab sich allerdings, als Thelma die gerade fertig gestellte Latrine benutzen wollte.
Ich hatte mich schon wieder an mein Tagebuch gesetzt, war aber noch in Hörweite, sodass ich mitbekam, wie Kimberly sie abfing. »Was hast du vor?«, fragte sie.
»Na, was meinst du wohl?«, gab Thelma zurück.
»Das ist keine gute Idee.«
»Wieso?«
»Du darfst die Latrine nicht benutzen.«
»Wieso nicht?«, fragte Thelma indigniert. »Ich habe immerhin mitgeholfen, sie zu bauen.«
»Weil das vor morgen früh niemand darf.«
»Und warum nicht?«
»Weil sich der Sand erst setzen muss«, erklärte Kimberly.
»Wie bitte?« Thelma runzelte verwirrt die Stirn.
»Wenn der Sand sich nicht setzt, fallen die Wände wieder ein.«
»Bist du verrückt?«
»Nein, das ist eine Tatsache.«
Thelma schüttelte den Kopf. »So was habe ich noch nie gehört.«
»Kimberly hat Recht«, mischte ich mich ein. »Eine Sandlatrine darf man vierundzwanzig Stunden lang nicht benutzen. Das weiß doch jeder.«
Thelma verzog das Gesicht. So ganz schien sie uns die Geschichte nicht abzunehmen.
»Wo soll ich dann hingehen?«, fragte sie ihre Schwester.
»Da, wo wir bisher auch hingegangen sind«, antwortete Kimberly und deutete in Richtung Dschungel. »Ich hole Billie und Connie, und dann gehen wir alle miteinander. Allein ist es dort jetzt zu gefährlich.«
»Soll ich auch mitgehen?«, fragte ich.
Thelma sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, aber Kimberly spielte mit. Sie wusste, dass ich es nicht ernst meinte. »Nein, du bleibst hier und hältst die Stellung.«
»Meint ihr nicht, dass ihr einen Mann zu eurem Schutz braucht?«, fragte ich.
»Das schaffen wir schon allein, Rupert.«
»Wie ihr wollt.«
Und so gingen die Frauen ohne mich ins Gebüsch. Ich blieb sitzen, hörte aber für eine Weile mit meiner Tagebuchschreiberei auf. Falls Wesley plötzlich auftauchen und sich auf mich stürzen sollte, wollte ich durch nichts abgelenkt sein.
Trotz gewisser Bedenken fühlte ich mich einigermaßen in Sicherheit. Zum Ersten befanden sich rings um mich herum relativ große freie Sandflächen, auf denen ich jeden Angreifer von weitem kommen sehen würde, und zum Zweiten war ich mit einem Speer, einer Keule und einem Haufen Steine recht gut bewaffnet.
Außerdem waren die Frauen nicht weit von mir entfernt. Sie gingen nur so weit in den Dschungel, bis sie vor meinen Blicken geschützt waren. Ich konnte ihre Stimmen hören, und daraus schloss ich, dass auch meine Hilferufe zu ihnen dringen würden.
Aber es passierte nichts.
Als die Frauen wieder kamen, konnte ich in Ruhe mein Tagebuch nachtragen. Kimberly und Billie gingen schwimmen, Connie kletterte auf die Felsspitze, blieb dabei aber immer in Sichtweite, und Thelma lag die meiste Zeit im Strand und schien zu schlafen.
Vielleicht sollte ich das auch tun.
Kann sein, dass uns eine lange Nacht bevorsteht.
Vierter Tag
Das Ablenkungsmanöver
Gestern Abend hat sich Thelma schon kurz nach Einbruch der Dunkelheit schlafen gelegt. Das war eigentlich erfreulich, denn ich hatte schon befürchtet, dass sie kein Auge mehr zumachen würde, weil sie tagsüber so viel geschlafen hatte. Unseren geplanten Hinterhalt hätten wir dann vergessen können.
Genau das sagte ich auch den anderen, als Thelma eingeschlafen war.
»Menschen, die psychisch stark belastet sind, schlafen häufig viel«, meinte Billie. »Das ist überhaupt nicht ungewöhnlich. Auf diese Weise entfliehen sie einer bedrückenden Realität.«
Bevor Billie Andrew geheiratet hatte, war sie Englischlehrerin an einer High School
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