Die Insel - Roman
nicht, weil nach wie vor eine leichte Brise weht.
Jetzt, während ich mich wieder meinem Tagebuch widme, bauen Billie und Kimberly neue Waffen als Ersatz für die, die gestern Nacht verloren oder kaputtgegangen sind.
Connie hielt sich den Großteil des Tages abseits von uns. Seit der Szene am Bach hat sie kaum mit mir gesprochen, und die wenigen Male, die sie in meiner Nähe war, warf sie mir wütende Blicke zu.
Ich bin richtig froh, dass sie stundenlang beim Fischen war. Heute Morgen lieh sie sich von Kimberly das Schweizer Messer und schnitzte sich damit einen speziellen Speer zurecht. Er hat eine lange, dünne Spitze mit drei spitzwinklig herausgearbeiteten Widerhaken an der Seite, die verhindern sollen, dass die aufgespießten Fische wieder entkommen können.
Sieht ziemlich gefährlich aus, das Teil. Hoffentlich kriegt Connie keinen Rappel und probiert es an mir aus.
Seit der Speer fertig ist, steht sie stundenlang im hüfttiefen Wasser draußen in der Bucht. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis sie den Dreh raus hatte, und ich hörte sie immer wieder »Scheiße!« brüllen. Dann aber schrie sie plötzlich: »Ja! Hab ich dich endlich!«, und als ich zu ihr hinsah, zappelte an der Spitze ihres Speers ein großer, silbrig glänzender Fisch. Wir brachen alle in spontanen Applaus aus. Als Connie mit dem Fisch an Land kam, lief Kimberly ihr mit unserem größten Topf entgegen, füllte ihn mit Meerwasser und ließ Connie den Fisch hineinlegen.
Inzwischen hat sie drei weitere aufgespießt.
Das gibt ein Festessen heute Abend.
Soviel zu den Ereignissen des Tages.
In Anbetracht der Umstände haben wir uns ganz gut gehalten. Gestern mussten wir damit fertig werden, dass Keith und Andrew getötet wurden, aber heute mussten wir uns außerdem noch mit unserem misslungenen Hinterhalt und der Tatsache beschäftigen, dass Thelma zum Feind übergelaufen war. Außerdem hatten wir alle unsere
Blessuren, wobei meine bei weitem am schlimmsten sind - die von Wesley einmal ausgenommen.
Nach mir hat wahrscheinlich Kimberly am meisten abbekommen. Sie hat zwar keine offenen Wunden, dafür aber eine schlimme Prellung am Brustkorb, direkt unter der rechten Achselhöhle, und etwas leichtere am Bauch und an der rechten Hüfte, wo Thelma sie getreten hat.
Billie und Connie haben Blutergüsse im Gesicht. Die Schwellungen klingen schon ab, aber es bleiben violett schillernde Flecken, die wie Schmutz aussehen. Billie hat den Bluterguss an der linken Wange, Connie auf der linken Seite des Kiefers, wobei Billie mit Thelmas Speer einen wesentlich schlimmeren Schlag abbekommen als Connie von meiner Faust.
Ich werde jetzt Schluss machen und mithelfen, den Fisch fürs Abendessen zuzubereiten.
Der Fisch war hervorragend. Billie hat ihn nach ihrem Geheimrezept mit Bourbon in der Pfanne gebraten. Die Whiskyflasche haben wir im Kreis herumgehen lassen, um unsere geschuppten Freunde standesgemäß hinunterzuspülen.
Eines ist mir beim Essen aufgefallen.
Die Größe unserer Gruppe.
Beziehungsweise, wie klein sie jetzt ist.
Wir sind nur noch vier.
Meine Güte.
Wir waren mal acht. Acht Leute sind eine ganz stattliche Gruppe.
Vier sind eine mickrige.
Und von den vieren sehe ich sowieso nur drei. Ich sehe Billie, Kimberly und Connie. Eins, zwei, drei. Das war’s.
Man hat uns ganz schön dezimiert.
Während des Essens sprachen wir kaum, aber gegen Ende sagte Billie: »Morgen müssen wir etwas tun.«
Connie warf ihr einen beleidigten Blick zu. »Also ich habe heute schon etwas getan. Ich habe euch euer Abendessen gefischt.«
»Wir sollten nicht zum Fischen gehen, sondern auf die Jagd«, meinte Kimberly. »Auf die Jagd nach Thelma und Wesley.« Sie nickte Billie zu und murmelte leise: »Heute konnte ich einfach nicht.«
»Ja, das verstehe ich«, sagte Billie. »Ich auch nicht.«
»Nicht nach gestern Nacht«, ergänzte ich.
Connie warf mir einen angesäuerten Blick zu.
»Aber morgen müssen wir nach ihnen suchen«, fuhr Billie fort. »Wir dürfen Wesley keine Zeit geben, sich zu erholen. So lange er durch seine Wunden noch gehandicapt ist, können wir ihn viel leichter erledigen.«
»Was machen wir mit Thelma?«, fragte ich.
»Die lassen wir am Leben«, erwiderte Billie.
Connie schnaubte verächtlich.
»Wenn sie nicht bereits tot ist«, meinte Kimberly, ohne auf ihre Halbschwester einzugehen. »Würde mich nicht wundern, wenn Wesley sie umbringen würde.«
»Aber nicht sofort«, sagte Billie. »Bestimmt lässt er sich erstmal
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