Die Insel - Roman
ich.
Sie legte sich die Axt über die Schulter und lächelte. Kimberlys Lächeln ist umwerfend.
»Ach, ich spiele nur rum«, erklärte sie. »Ist so eine Art Morgengymnastik.«
»Du kommst mir vor wie eine halbe Wikingerin«, sagte ich.
»Bin ich auch. Brauchst mich doch nur anzusehen: Nordisch durch und durch.«
Sie machte sich über mich lustig, aber mir gefiel es. »Ich meine damit nicht dein Aussehen«, erklärte ich, »sondern die Art, wie du mit der Axt umgehst. So, als hätten schon deine Vorfahren die Streitaxt geschwungen.«
»Das haben sie auch, aber eine andere, als du glaubst. Ich habe Indianerblut in meinen Adern.«
»Wirklich? Bist du Indianerin?«
»Eine halbe. Sioux. Vom Stamm der Lakota.«
»Nimmst du mich auf den Arm?«
»Ich schwöre es!« Mit ihrer freien Hand zeichnete sie rasch ein Kreuz auf ihre Brust. »Mütterlicherseits. Ihr Großvater war am Little Big Horn dabei.«
»Kein Witz?«
»Wir wissen aus gesicherter Quelle, dass er persönlich General Custer skalpiert hat.«
»Echt?«
Kimberly lachte. » Damit habe ich dich jetzt auf den Arm genommen.«
»Da bin ich aber beruhigt, denn meines Wissens wurde Custer gar nicht skalpiert.«
»Keine Ahnung, ob mein Urgroßvater überhaupt jemanden skalpiert hat. Aber bei der Schlacht am Little Big Horn war er dabei, so viel steht fest.«
»Großer Gott.«
»Vielleicht liegt mir deshalb der Umgang mit Tomahawks, Speeren und Messern irgendwie im Blut. Und zur anderen Hälfte bin ich Sizilianerin.«
»Sioux und Sizilianerin. Meine Fresse! Rothaut und Mafia - was für eine explosive Mischung. Dich möchte ich lieber nicht zur Feindin haben.«
»Ist auch besser so. Ich kann nämlich höllisch brutal werden.« Ihr Lächeln erstarb, und ihre Augen verdüsterten sich. Für eine Weile hatte sie wohl vergessen, dass Wesley ihren Ehemann und ihren Vater ermordet hatte, aber jetzt war es ihr wieder eingefallen. Ich konnte ihr ihren Schmerz am Gesicht ablesen. Und ihre Wut.
Damit, dass er Menschen umgebracht hatte, die Kimberly liebte, hatte Wesley einen Riesenfehler gemacht.
Ein wenig hatte er bereits dafür bezahlt, aber ich hatte so das Gefühl, dass seine Qualen noch nicht einmal richtig angefangen hatten.
Weil ich Kimberly auf andere Gedanken bringen wollte, sagte ich: »Und ich habe doch tatsächlich geglaubt, dass wir nicht länger als einen, höchstens zwei Tage auf dieser Insel hier festsitzen werden.«
» Ich habe eher an ein, zwei Stunden gedacht«, erwiderte sie. »Irgendjemand hätte die Explosion doch hören müssen. Und selbst wenn nicht … einsame Inseln, auf denen Schiffbrüchige jahrelang ausharren müssen, gehören doch ins vorige Jahrhundert.«
»Aber möglich ist es auch heute noch.«
»Besonders, wenn es ein hinterhältiger Bastard wie Wesley gezielt herbeiführt.«
»Bestimmt hat er bei den Behörden eine falsche Reiseroute angegeben«, sagte ich. Ich hatte schon einmal daran gedacht und es dann wieder verworfen, aber jetzt war ich mir sicher, dass Wesley genau das gemacht hat. »Nur so kann ich es mir erklären, dass wir bis jetzt noch nicht gerettet wurden. Entweder sie suchen noch gar nicht nach uns,
oder Wesley hat es so hingedreht, dass sie ganz woanders suchen.«
»Im Moment will ich überhaupt nicht gefunden werden«, sagte Kimberly.
Ihre Worte verblüfften mich.
Sie spiegelten in etwa das wider, was ich selber dachte.
Unser fünfter Tag auf dieser Insel war gerade angebrochen, aber irgendwie kam es mir so vor, als ob wir schon sehr lange hier gewesen wären. Andererseits aber war die Zeit rasend schnell vergangen. Wegen der Schwierigkeiten, die Wesley uns bereitet hatte, waren wir überhaupt noch nicht dazugekommen, die Insel genauer zu erkunden. Niemand konnte sagen, was uns alles zustoßen und welche Abenteuer wir in den kommenden Tage - oder Wochen - erleben würden. Vielleicht sogar in den kommenden Monaten.
Unsere Rettung würde all das mit einem Schlag zunichte machen.
Ich konnte mir vorstellen, dass Kimberly ähnlich empfand. »Ich verlasse diese Insel erst, wenn ich mit Wesley abgerechnet habe«, sagte sie.
»Du hast ihn doch schon ziemlich schlimm erwischt.«
»Kann sein, aber das ist noch lange nicht genug. Ich werde ihn töten.«
Die Art, wie sie das sagte und vor allem ihr Gesicht dabei, jagte mir einen eiskalten Schauder den Rücken hinunter.
Vorbereitungen
Während sich die Frauen für unsere Dschungelexpedition fertig machen, trage ich rasch mein Tagebuch nach.
Gleich gehen wir
Weitere Kostenlose Bücher