Die Insel - Roman
von ihr pflegen, bis es ihm besser geht.«
»Ihr habt doch alle beide einen Knall«, mischte sich Connie ein. »Warum sollte er Thelma umbringen?«
Ich beschloss, mich da rauszuhalten.
»Warum nicht?«, fragte Kimberly.
»Zum Beispiel, weil sie ihm gestern Nacht den Arsch gerettet hat.«
»Du meinst, dass er sie aus Dankbarkeit verschont?«, fragte Kimberly.
»Er hat keinen Grund , sie zu töten. Schließlich ist sie auf seiner Seite.«
»Er sieht es vielleicht nicht so«, gab Billie zu bedenken. »Kann sein, dass sie für ihn ein Hindernis ist.«
»Wieso ein Hindernis?«
»Die Frage ist doch, warum er das alles tut, oder?«, fragte Billie. »Meiner Meinung nach hat er sich das Ganze ausgedacht, um reich zu werden. Der größte Teil unseres Familienbesitzes läuft auf Andrews und meinen Namen. Wenn wir beide tot sind, erben es unsere Kinder, also ihr beide und Thelma. Und wenn ihr drei auch tot seid, bekommen alles eure Ehemänner. Connie ist nicht verheiratet …«
»Und meinen Mann hat er getötet«, warf Kimberly mit leiser Stimme ein.
»Genau. Bleibt also Wesley. Wenn er der einzige Überlebende ist, erbt er ein Vermögen.«
»Jede Wette, dass er auch noch eine hohe Lebensversicherung für Thelma abgeschlossen hat«, sagte Kimberly.
Connie verzog Gesicht. »Ich glaube, ihr habt zu viele schlechte Fernsehkrimis gesehen.«
»Was denkst denn du, warum er das alles tut?«, fragte Billie sie.
Connie zog die Nase kraus und zuckte die Achseln. »Weil er verrückt ist?«
»Das stimmt, er ist verrückt«, sagte Kimberly. »Er ist verrückt, wenn er meint, dass er damit durchkommt. Gleich morgen früh begebe ich mich auf die Jagd nach ihm.«
»Wir alle werden ihn jagen«, meinte Billie.
Fünfter Tag
Kriegstanz
Vergangene Nacht musste ich nicht Wache stehen. Die Frauen wechselten sich ab und ließen mich schlafen.
Ich wachte erst auf, als die Sonne schon über die Baumwipfel des Dschungels gestiegen war und unseren Strand in ein warmes, goldenes Licht tauchte. Ein wunderbarer Anblick. Am liebsten wäre ich ewig so liegen geblieben und hätte dieses Licht genossen.
Noch ziemlich müde blickte ich hinüber zu den anderen und konnte zwar Billie und Connie entdecken, die friedlich dalagen und schliefen, nicht aber Kimberly. Nach einer Weile hob ich den Kopf und sah mich nach ihr um.
Sie stand auf halbem Weg zwischen Wasser und Lagerfeuer im Sand und übte mit der Axt, die sie mit kräftigen, aber flüssigen Bewegungen durch die Luft schwang und schließlich mit einem raschen Schritt nach vorne auf einen imaginären Gegner niedersausen ließ. Ihre Bewegungen waren von einer eleganten, fast tänzerischen Leichtigkeit, was mir ziemlich unheimlich vorkam. Schließlich hantiere sie mit einer tödlichen Waffe, die vor zwei Tagen ihrem Vater den Schädel gespalten hatte. Im Sonnenlicht glänzte der Kopf der Axt wie reines Silber, und Kimberlys dichtes, dunkles Haar flog durch die Luft wie die Mähne eines wild dahingaloppierenden Mustangs.
Sie trug wieder das Hawaiihemd ihres ermordeten Mannes, und weil sie es, wie üblich, nicht zugeknöpft hatte, flog
der dünne Stoff bei ihren Schwüngen und Drehbewegungen hinter ihr her wie ein bunt bedrucktes Cape. Darunter blitzte ihr weißer Bikini hervor, und ihre gebräunte Haut glänzte vor Schweiß.
Sie kam mir gespenstisch, elegant, primitiv und schön zugleich vor, und es tat mir fast weh, sie anzusehen, so wundervoll war sie. So sehr ich mich auch dazu zwang, ich konnte meine Blicke einfach nicht von ihr wenden.
Dass es mich hierher auf diese Insel verschlagen hat, ist wirklich das Beste, was mir in meinem Leben bisher zugestoßen ist. So betrachtet, müsste ich allerdings auch Wesley danken und dürfte ihm nicht nach dem Leben trachten. In Wirklichkeit aber hasse ich ihn, weil er Kimberly und Billie solchen Schmerz zugefügt hat. Und ich hasse ihn schon jetzt für das, was er ihnen möglicherweise antun wird, wenn er sie in die Finger bekommt. (Die Tatsache, dass er auch mich umbringen will, finde ich übrigens auch nicht gerade berauschend.)
Wie dem auch sei, es war einfach fantastisch, Kimberly bei ihren Übungen mit der Axt zusehen zu können.
Als sie es entdeckte, fühlte ich mich wie ein in flagranti ertappter Spanner, trotzdem winkte ich ihr fröhlich lächelnd zu. Sie winkte zurück. Ich setzte mich auf, gönnte mir ein paar Minuten, um zu mir zu kommen, und ging dann hinüber zu ihr.
»Du bereitest dich wohl auf die große Schlacht vor«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher