Die Insel - Roman
ich vielleicht doch erst unser Waterloo beschreiben. Dann kann man mein Erlebnis von letzter Nacht auch besser einordnen.
Wo war ich also stehen geblieben in meiner Erzählung vom Tag unserer Niederlage? Ach ja, wir waren hinter Connie den Bach hinauf in Richtung Lagune gestapft. Zuvor war Kimberly am Strand vor uns davongelaufen, weil sie befürchtet hatte, wir würden ihr bei ihrem Rachefeldzug im Weg stehen. Sie war allein losgezogen, um Wesley zur Strecke zu bringen, und wir hatten Angst, dass sie dabei in einen Hinterhalt geriet.
Obwohl unsere Schritte im Bach laute, platschende Geräusche machten, vermieden wir es, miteinander zu sprechen.
Connie und ich schlugen hin und wieder nach Mücken, die zwar nicht so schlimm waren wie das letzte Mal, uns aber dennoch ständig umschwirrten und stachen. Während wir unser Bestes taten, um möglichst viele von den Quälgeistern platt zu machen, ließen sie Billie wieder mal in Ruhe. (Ich habe ja die Theorie, dass sie Respekt vor ihrem wundervollen Körper haben und ihn nicht mit hässlichen roten Beulen entstellen wollen.)
Wie dem auch sei, wir stapften jedenfalls mit ziemlicher Geschwindigkeit den Bachlauf hinauf und sagten für
eine ganze Weile kein einziges Wort. Schließlich wollten wir Wesley und Thelma nicht unnötig auf uns aufmerksam machen, und ich glaube, dass keiner von uns sonderlich scharf auf eine Begegnung mit den beiden war. Vor allem, weil Kimberly nicht bei uns war.
Als wir etwa die Hälfte des Weges hinter uns gebracht hatten, fing Billie plötzlich zu singen an.
» Once a jol-ly swagman«
Connie wirbelte herum. »Mom, bitte!«
»Was ist denn?«
»Sei still.«
»Warum singt ihr nicht einfach mit?«, fragte Billie.
Es musste wohl etwas mit Connies Wandlung zu tun haben, dass sie nicht stehen blieb und »Scheiße!« brüllte, sondern ganz zahm fragte: »Wieso denn?«
»Weil es Spaß macht«, erwiderte Billie und schaute mich lächelnd über die Schulter an. »Oder etwa nicht, Rupert?«
»Aber dann hören sie uns bestimmt«, gab ich zu bedenken, während ich eine Mücke totschlug, die mich gerade am Nacken gestochen hatte.
»Genau das sollen sie auch«, sagte Billie. »Es ist gut, wenn sie auf uns aufmerksam werden - falls sie das nicht schon längst sind.«
Connie hob die Augenbrauen. »Dann achten sie weniger auf Kimberly, oder?«
»Genau«, erwiderte Billie. »Vielleicht glauben sie sogar, dass Kimberly bei uns ist.«
»Aber nur, solange sie uns nicht sehen«, sagte ich.
Billie grinste mich an. »Richtig. Und wenn sie uns sehen, schauen sie nicht nach Kimberly.«
»Stimmt. Aber dann sollten wir uns auf einen Angriff vorbereiten«, meinte ich.
»Na und?«, sagte Connie.
»Dann lasst uns singen.«
Und so schmetterten wir, während wir weiter den Bach hinaufmarschierten, aus vollen Kehlen »Waltzing Mathilda«. Billie und Connie schienen den Text des Liedes auswendig zu können - wahrscheinlich hatte Andrew, der alte Seebär, es irgendwo in Australien gelernt und zu Hause seiner Familie beigebracht. Ich selbst kannte auch fast den ganzen Text, weil ich mir seit meiner Kindheit sämtliche Liedtexte, Gedichte und Zitate, die mich irgendwie beeindruckt haben, sehr gut merken konnte. Obwohl das Lied ja eigentlich von Tod und Gespenstern handelt, gab es mir mit seiner fröhlichen Melodie beim Singen ein richtig gutes Gefühl.
Wir legten uns richtig ins Zeug und machten uns damit über Wesley und Thelma lustig - falls diese nahe genug waren, um unseren fröhlichen und gleichzeitig trotzigen Gesang zu hören.
Nach »Waltzing Mathilda« sangen wir »Hit the Road, Jack«, bei dem ich anfangs Schwierigkeiten mit dem Text hatte. Aber ich kam hinein, nachdem ich Billie und Connie eine Strophe lang zugehört hatte. Danach sangen wir noch »Hey Jude«, das wir alle auswendig konnten.
Als nächstes Lied schlug ich vor: »We’re off to see the Wizard«
Billie lachte. »Wie passend«, meinte sie. Passend hauptsächlich deshalb, weil ich eine Axt trug. »Du würdest einen hübschen Blechmann abgeben«, sagte sie. »Und ich wäre der Feige Löwe.«
Hübsch. Sie hatte mich hübsch genannt.
»Jetzt hört aber auf«, sagte Connie. »Was bleibt denn bei eurer Rollenverteilung für mich übrig? Etwa die Vogelscheuche?
Nicht mit mir. Wonach hat die immer gesucht? Nach einem Gehirn? Nein, danke!«
»Du könntest doch Dorothy sein«, sagte ich lächelnd.
»Und wenn ich nicht Dorothy sein möchte? Dorothy ist stinklangweilig.«
»Dann bleibt nur noch
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