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Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende

Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende

Titel: Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenda Larke
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wenn er ein Mensch wäre. Allmählich habe ich begriffen, dass er tatsächlich auch mit mir sprach, es war nur die Frage, ob ich es verstehen konnte … Ein Teil ihrer Sprache ist leicht nachvollziehbar. Kopfschütteln für Nein, Nicken für Ja, so wie bei Menschen. Andere Gesten sind feiner, aber immer noch ziemlich leicht zu verstehen – Dinge wie: Warte, komm, hier, da. Ein Fußaufstampfen bedeutet › ich bin ärgerlich‹, ein Schulterzucken bedeutet › ich weiß es nicht‹ und so weiter. Was das Gezwitscher und die Laute angeht, habe ich die Bedeutung genauso gelernt, wie ein Kind die Sprache von den Erwachsenen lernt: durch Wiederholung. Wir beide lernten zur gleichen Zeit lesen, und das half. Ich schrieb das Alphabet ab, und er pickte auf die entsprechenden Buchstaben …«
    » Bist du zur Schule gegangen?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. » Nein. Kinder von Adeligen tun das nicht. Es war das Kennzeichen der verachteten Mittelschicht, gebildet zu sein – wieso sollten wir Lesen und Schreiben lernen, wenn man jemanden bezahlen konnte, der das für einen tat? Aber ich habe es dennoch gelernt. Auf eine gewisse Art und Weise hatte ich Glück. Mein Vater war so beschäftigt, dass er nicht die Zeit hatte, sich allzu viele Gedanken um mich zu machen, und meine Mutter war nervenkrank und oft so wenig ansprechbar, dass ich sogar noch mehr auf mich selbst zurückgeworfen war als andere. Ruarths Mutter sagte, dass ich es lernen sollte, also überredete ich den Buchhalter meines Vaters, mir die Zahlen beizubringen, und seinen Schreiber, mich im Lesen und Schreiben zu unterrichten.« Sie sah zärtlich auf den schlafenden Ruarth. » Ohne die Dunstigen und ohne diese beiden Männer wäre mein Leben völlig anders verlaufen.«
    » Ich habe nicht gewusst, dass es so schlimm ist«, sagte ich. » Stimmt es, dass Cirkase von Angestellten und Buchhaltern bestimmt wird? Von dieser sogenannten Mittelschicht?«
    » Das ist absolut richtig. In der Vergangenheit hat es funktioniert, weil der Burgherr seine Untertanen fest im Griff hatte. Aber jetzt« – sie schüttelte reumütig den Kopf – » zerbricht alles, und das ist auch richtig so. Es ist keine Art und Weise zu regieren. Die gebildete Schicht wird eines Tages die Adeligen stürzen, und die werden keine Ahnung haben, wie sie das aufhalten können. Warum sollten sie auch – die Schreiber und Buchhalter und Kaufleute meine ich – all die Arbeit tun und die ganze Verantwortung tragen, wenn sie dafür nur wenig Geld bekommen? Weißt du, Glut, als ich als kleines Mädchen in der Burg aufgewachsen bin, hatte ich siebzehn persönliche Diener. Siebzehn. Ich musste mir nie selbst die Haare bürsten oder die Schuhe zubinden. Ich musste nie etwas tun. Gar nichts. Und was tat ich, um mir das zu verdienen ? Nichts. Wären nicht die Dunstigen gewesen, ich wäre das verwöhnteste und unglücklichste Kind überhaupt geworden. Es war Langeweile, was mich dazu brachte, einen zweiten Blick auf die Vögel an meinem Fensterbrett zu werfen; es war der erkundungsfreudige Geist eines Kindes, gefangen in einer verblödenden Umgebung, der mich hinterfragen ließ, was ich sah … Wie viele andere solcher erkundungsfreudigen Geister hat das System von Cirkase wohl unterdrückt?«
    Sie sah auf ihren amputierten Arm herunter. » Ich bin froh, dass ich weggegangen bin. Ich würde es wieder tun, auch wenn ich vorher wüsste, welchen Preis ich dafür zu zahlen habe.«
    Tief in meinem Herzen wusste ich, dass sie nicht nur ihren Arm meinte.
    » Ja«, sagte sie und beantwortete meine unausgesprochene Frage. » Auch das. Wenn ich auf Burg Cirkase geblieben wäre, wäre Schlimmeres mit mir geschehen, als dass ich vergewaltigt worden wäre. Ich wäre wieder und wieder verletzt worden, auf unterschwellige und herabwürdigende Weise, jeden einzelnen Tag meines Lebens.« Sie schwieg einen Moment und sagte dann: » Eine adelige Frau kann nicht einfach draußen herumlaufen, ohne sich tief zu verschleiern. Alles, was man sieht, sieht man durch eine Schicht Stoff. Und doch sahen unsere Bediensteten uns – sie badeten uns sogar. Also, wo ist da die Logik ? Es war nur eine andere Variante, Leute an ihrem › Platz‹ zu halten. Es war die Hölle, Glut. Am Ende wäre ich mit irgendwem verheiratet worden, ob ich einverstanden gewesen wäre oder nicht, um meiner Familie Ansehen oder wirtschaftlichen Nutzen zu bringen. Als wäre ich eine Ware.«
    Unsere Blicke begegneten sich. Sie sah wunderschön aus im

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