Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
ich erwachte.
Ich kam mir vor wie ein Krebs, den man zum Trocknen in die Sonne gelegt hatte: Man hatte meine Arme und Beine weit ausgestreckt und an Handgelenken und Fußknöcheln an den Boden gefesselt. Ein Riemen, der um meinen Hals geschlungen und im Boden verankert war, sorgte außerdem dafür, dass ich meinen Kopf nicht heben konnte, ohne mich selbst zu würgen. Tatsächlich lag ich unter der Sonne auf einer Schicht aus festem Sand und getrockneten Meeresalgen. Das Wasser, das jetzt seinen Höchststand erreicht hatte, lief ein oder zwei Schritt von meinem Fuß entfernt in sanftem Plätschern aus. Ich war nackt, und mein Kopf schmerzte furchtbar. Außerdem war mir klar, dass mich noch Schlimmeres erwartete.
» Sie wird wach.«
Die Worte waren leise gesprochen worden, mit unüberhörbarem Vergnügen und einer Bösartigkeit, die mich erstarren ließ. Ich kannte die Stimme nicht. Ich konnte den Sprecher auch nicht sehen; er stand irgendwo über mir, hinter meinem Kopf. Obwohl ich meinen Kopf ein bisschen von einer Seite zur anderen bewegen konnte, hatte ich keine Chance, einen Blick hinter mich zu werfen. Ich wusste, es musste der Dunkelmeister sein; der Gestank der Dunkelmagie war so intensiv, dass er mir die Kehle zuschnürte.
» Dein Glück. Ich wäre sehr unglücklich gewesen, wenn sie gestorben wäre. Menschen mit einem Schlag auf den Kopf unbeweglich zu machen, ist ziemlich riskant – bitte merk dir das für die Zukunft.«
Ich konnte die anderen beiden Männer sehen, diejenigen, an die er sich gewandt hatte. Sie waren beide klein. An den einen erinnerte ich mich, ich hatte ihn am ersten Tag in der Trunkenen Scholle gesehen: Er war ein drahtiger Kerl mit runzliger Haut. Sichel, der Folterknecht. Ein Mischling mit einer unmöglichen Kombination aus honigbraunen Augen aus Calment und der braunen Haut der Südinseln. Er besaß keine Tätowierung am Ohrläppchen. Und er war auch kein Eunuch – was bedeutete, dass er entweder klüger war als die meisten seiner Art oder den größten Teil seines Lebens auf Gorthen-Nehrung gelebt hatte, wo niemand sich allzu sehr um Bastarde scherte.
Der andere war sogar noch kleiner, ein hellhäutiger Venner mit grünen Augen und braunen Haaren. In seinem Blick loderte fiebriger Hass, als er mich musterte: Domino, der wegen seiner geringen Größe Komplexe hatte und alle hasste, die groß waren. Jetzt sah er auf mich herunter – und lächelte.
» Syr-Meister«, sagte Sichel ehrerbietig. » Was soll’n wir tun?«
Die Dunkelmagie rührte sich, als ihr Erzeuger sich bewegte. Sie wirbelte um meinen Kopf, rasend vor Wut, weil sie mir keinen Schaden zufügen konnte. Der Geruch verpestete die Luft so sehr, dass ich die Kraft der Dunkelmagie spüren konnte. Ihre erhöhte Kraft. Sie wurde stärker, von Tag zu Tag. Die Wahrer würden sich bei ihrer Suche nach diesem Mann beeilen müssen, ehe er auch für sie zu stark wurde …
» Ich will lediglich wissen, wer ihr dabei geholfen hat, das Burgfräulein zu befreien«, flüsterte die Stimme hinter meinem Kopf. » Die Cirkasin wird schon bald aus freiem Willen zu mir zurückkehren. Ich brauche mich jetzt nicht um sie zu kümmern. Aber es gefällt mir nicht, dass ich nicht weiß, wer der andere war; diese Wissenden sind gefährlich für mich. Holt euch diese Information und beseitigt sie dann so, wie es euch gefällt. Je länger es dauert, umso glücklicher macht es euch, was? Eine Woche, einen Monat, ein Jahr. Es gibt keinen Grund zur Eile. Vielleicht sollte ihr letzter Bestimmungsort die Wand unseres Hurenhauses sein, wo ihr sie anketten lasst? Aber verschafft mir erst den Namen. Und sorgt dafür, dass es der richtige ist, verstanden? Lasst euch nicht von ihr reinlegen.«
Er erwartete keine Antwort. Ich hörte, wie er über den Sand wegging und die Dunkelmagie mit sich nahm.
Ich konnte wieder atmen. Ich konnte mir wieder Gedanken darüber machen, wieso sie glaubten, dass Flamme das Burgfräulein war. Ich konnte mich wieder an dumme Sachen erinnern wie die Tatsache, dass Ruarths Mutter die Silbbegabung besaß. Ich konnte darüber meditieren, was für Narren Thor und ich gewesen waren, dass wir geglaubt hatten, wir könnten einen Dunkelmagier wie ihn täuschen.
Ich sah mich um, so gut es ging, und suchte nach irgendetwas, das mir Hoffnung geben würde. So klein sie auch sein mochte.
Soweit ich erkennen konnte, hatte man mich an einen vollkommen verlassenen Strand gebracht. Es waren keine Häuser oder anderen Gebäude zu sehen, und
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