Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
auch nur anfangen konnte zu beurteilen, was sie durchgemacht hatte?
Eine halbe Stunde später erklommen wir eine kleine Anhöhe und sahen auf ein paar Häuser hinunter, die von einigen Kräutergärten umgeben waren. Ein Gebäude war größer als die anderen. Es schien keine Fenster zu haben, aber große Doppeltüren, die zum Wasser zeigten, und Gittergeflechte oben auf den Mauern. Eine Art Lager, vermutete ich. Vielleicht wurde hier das Pandana gelagert, das die Dorfbewohner gewöhnlich sammelten. Eine Reihe von flachen Flussbooten ähnlich dem, das wir benutzt hatten, lag ganz in der Nähe am Strand; ein paar vereinzelte Fischernetze hingen zum Trocknen auf einem Bambusgestell. Der ganze Ort flackerte karmesinrot. Flammen huschten über den Boden, leckten an den Gebäuden.
Es war immer noch früh; die Sonne war noch nicht aufgegangen, obwohl der Himmel bereits graute. Rauch stieg von den Kaminen einiger Häuser in die kühle, feuchte Luft empor. Während wir die Anhöhe hinabstiegen, kletterte die Sonne höher, und es war, als würde das Dorf mit einem Schlag erwachen. Leute tauchten auf: die einen, um Wasser zu holen, die anderen, um am Wasser Wäsche zu waschen. Ein Junge fütterte einen Schwarm gezähmter Wattvögel, ein anderer pflückte ein paar Bananen. Es hätte ein gewöhnliches Dorf am Ufer eines Sees sein können, wie es viele von ihnen auf den Inseln von Mekaté gab, nur dass über alles und jeden eine rote Farbe spielte. Jemand hatte hier in einem Ausmaß Magie gewirkt, das mir verriet, dass es sich um die Enklave eines Dunkelmagiers handelte. Um ein neues Kredo.
Die Leute hier schienen noch nicht so lange versklavt zu sein wie die von Kredo, denn sie waren nicht so dünn. Aber es gab andere Hinweise auf ihre Versklavung: Niemand von ihnen sprach, es gab keine fröhlichen Wortwechsel, wenn sie einander trafen, die Frauen tauschten keinen Klatsch aus, während sie die Wäsche wuschen, und überhaupt war nirgendwo Lachen zu hören. Es gab auch keine kleinen Kinder – sie mussten als Erste gestorben sein, als die Dunkelmagier hierhergekommen waren. Kinder waren ein Störfaktor, den man sofort beseitigte.
Der Erste, der uns begrüßte, als wir in das Dorf kamen, war Domino. Er hatte sich kein bisschen verändert. Der Blick, den er mir zuwarf, war eine Mischung aus beißendem Hass und hochgradigem, zielgerichtetem Behagen. Er widerte mich noch genauso an wie damals auf Gorthen-Nehrung, als er sich daran ergötzt hatte, mich zu foltern.
» Hallo, Mischling«, sagte er und lächelte.
» Hallo, Domino. So klein wie eh und je, wie ich sehe.«
Er zischte vor Wut und wollte mich gerade schlagen, aber ein Stirnrunzeln von Morthred genügte, um ihn zurückzuhalten. Ich seufzte innerlich. Wann würde ich endlich lernen, den Mund zu halten? Domino würde dafür sorgen, dass ich diese Bemerkung bereute.
Sie brachten uns direkt in das große Gebäude. Es entpuppte sich als eine Art Trockenscheune für die Pandana-Blätter. Jetzt war sie leer, abgesehen von den Trockengestellen und der vertieften Feuerstelle mitten im Raum, in der normalerweise ein Feuer brannte.
Morthred wandte sich an seine Silbmagier. » Bewacht sie. Wenn die Frau irgendwas sagt oder sich bewegt, tötet den Jungen. Domino, Lyssal, ihr kommt beide mit mir.«
Dek wurde blass und warf mir einen entsetzten Blick zu, als der Dunkelmeister uns verließ. Ich machte die Gesten der Dunstigen für » bleib ruhig« und » verhalte dich still«, in der Hoffnung, dass er sie erkennen würde – aber selbst diese kleinen Bewegungen veranlassten einen der Männer, drohend die Armbrust zu heben. Ich beschloss daher, es bleiben zu lassen.
Die Zeit verging nur langsam. Niemand sprach. Ich blieb wachsam, aber wachsam waren auch unsere insgesamt zehn Gefangenenwärter. Sie umstellten uns in einem Kreis, weit genug von mir entfernt, um jeden Fluchtversuch meinerseits vereiteln zu können, und verstärkten jedes Mal, wenn ich auch nur das Gewicht verlagerte, den Griff ihrer Finger am Abzug der Armbrüste oder an den Schwertgriffen. Und alle sahen zu Dek hinüber. Der arme Dek. Er fand schnell heraus, was es wirklich bedeutete, ein Held zu sein.
Nach etwa einer halben Stunde kam Ruarth durch das Gittergeflecht oben auf der Mauer hereingeflogen. Er ließ sich in unserer Nähe auf einem Querbalken nieder, so dass ich ihn sehen konnte.
Flamme geht es gut, sagte er. Morthred hat ihr gesagt, dass er sie auf sein Schiff zurückbringen will. Er bricht schon bald auf.
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