Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
würde er durch sie herrschen. Seine Macht würde tatsächlich den Archipel umfassen …
Die Kälte verstärkte sich, reichte tief in meine Knochen hinein, während ich mich an etwas erinnerte, das Flamme mir gesagt hatte, als wir zusammen auf dem Seepony geritten waren. Etwas, das sie von Dasrick erfahren hatte. Breth besaß Salpeter. Cirkase hatte Schwefel. Zusammen mit Holzkohle waren dies die Hauptbestandteile des Schwarzpulvers, das die Kanonengewehre brauchten. Und Morthred hatte gesehen, was Kanonengewehre anrichten konnten.
Breth und Cirkase waren nur der Anfang. Morthred würde über die Ruhmesinseln herrschen, und er würde die Kanonengewehre einsetzen, um sein Ziel zu erreichen.
Ja, das war gut möglich. Aber es setzte so viel voraus. Zunächst einmal, dass Flamme ein Kind vom Basteiherrn von Breth bekam. Dass dieses Kind männlich war, da in diesem Inselreich das Erstgeburtsrecht eines Mädchens nicht anerkannt wurde. Dass Flamme Morthred entweder vollkommen unterworfen war oder vollkommen mit ihm zusammenarbeitete. Und dass sich am Hof von Breth niemand mit Weißbewusstsein befand und dem Basteiherrn sagen konnte, dass seine zukünftige Frau eine Dunkelmagierin war.
Etwas passte noch nicht zusammen. Ich übersah noch etwas. Etwas Wichtiges. Etwas, das Morthred so selbstgefällig hatte werden lassen wie einen Einsiedlerkrebs mit einer neuen Schale. Und ich kam einfach nicht drauf.
Ich ging den Schnürsenkel mit frischem Eifer an, bis ich schließlich spürte, wie er sich löste. Ich begann, den Stiefel vom Fuß zu ziehen.
Genau in diesem Moment brach einer der Männer, die offenbar vor der Scheune Wache gestanden hatten, mit einem Pfeil im Hals zusammen. Das Geschoss hatte ihm die Kehle weggerissen, und er starb, ohne irgendein Geräusch von sich zu geben. Mir fiel die Kinnlade herunter, als wäre ich ein gestrandeter Kabeljau. Im entscheidenden Moment rutschte mir der Stiefel aus der Hand, und ich ließ ihn – zusammen mit dem Messer und allem anderen – fallen. Ich kannte diesen Pfeil. Er war nicht mit Federn gefiedert, sondern mit den Rückengräten eines Tümmelfischs, was den Pfeil dazu brachte, sich zu drehen und eine tödliche Präzision und Geschwindigkeit zu erlangen. Ich kannte nur einen Menschen, von dem ich wusste, dass er solche Pfeile herstellte: der Mann, der einmal als die Lanze von Calment bekannt gewesen war. Thor Reyder.
Thor war wirklich hier?
Oh, bei den Höllen. Würde ich also wieder einmal von Thor gerettet werden. Er würde stinksauer auf mich sein. Es war das zweite, nein das dritte Mal, dass er töten musste, um meine Haut zu retten.
Ich sah zu den vier Wachen hinüber. Nicht eine von ihnen konnte von ihrer Position aus den Türeingang sehen, ohne den Kopf zu drehen, und nicht eine schien auch nur das mindeste Interesse daran zu haben, was da draußen vor sich ging, oder sich darum zu kümmern, dass ich einen Stiefel ausgezogen hatte. Dafür konnte ich dankbar sein; aber trotzdem war es höchst frustrierend, einfach nur dastehen zu müssen und gar nichts tun zu können. Ich tastete mit meinen Zehen herum, um festzustellen, ob ich das Messer aus dem Stiefelfutter ziehen konnte.
Zum Teufel, dachte ich. Thor würde dafür sorgen, dass ich das hier nie vergessen würde.
Und dann brach draußen ein Chaos aus Lärm und Bewegung und Tod los. Ich glaubte, Gilfeders Stimme hören zu können. Gilfeder? Ich sah zum See hin und sah ihn auf einem Floß im Wasser stehen, und ich fragte mich, ob ich kurz davor war, verrückt zu werden. Aber seine wirren roten Haare und die reizvolle gewinnende Miene (die jetzt durch die stoppeligen Anfänge eines neuen Bartes verdeckt wurde) waren unverkennbar. Thor und Gilfeder?
Der Hochländer schimpfte Domino offenbar einen stumpfbeinigen Pisspott oder etwas ähnlich Taktvolles. Das machte Domino erwartungsgemäß ziemlich wütend, und er befahl den Dunkelmagiern, zerstörerische Magie auf Gilfeder zu schleudern. Zwar konnte sie Kelwyn nichts anhaben – oder zumindest glaubte ich nicht, dass sie das konnte –, aber natürlich war es etwas ganz anderes, was sie mit dem Floß anstellen würde. Oh, verdammt, dachte ich. Gilfeder, du feuerköpfiger Kretin, mach, dass du da wegkommst!
Inzwischen hatte der Lärm auch die Silbmagier aufgeweckt, die mich bewachten, und sie wurden darauf aufmerksam, dass es draußen irgendwelchen Ärger gab. Sie sahen einander zweifelnd an; offensichtlich fragten sie sich, ob sie ihren Wachposten verlassen und
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