Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
dem er dem Oberhaupt des Dorfes erklärte, dass seine Mutter aus dem Haus gefallen und sein Vater bei dem Versuch, sie zu retten, ebenfalls im Schlamm ertrunken war. Er gab den Dorfbewohnern das Boot und die Hütte mit der wertvollen Fischfalle im Tausch gegen eine Bootsfahrt zur nächstgrößeren Stadt Lekenbraig.
Lekenbraig überwältigte ihn. Sosehr seine Mutter auch versucht hatte, ihm das Leben in der Stadt nahezubringen, hatte er sich doch noch nicht einmal auf die grundlegendsten Eindrücke vorbereiten können. Der Lärm, die Geschäftigkeit, die schiere Größe und die befestigten Gebäude, all die vielen Leute, die Gerüche, die Wahlmöglichkeiten: Es war genug, dass er am ganzen Körper zu zittern begann, und er konnte fast eine ganze Woche nicht mehr damit aufhören.
Er folgte dem Rat der Fischer, die ihn zur Stadt gebracht hatten, und ging zur Stadtwache, um von ihnen Hilfe zu erbitten. Der befehlshabende Offizier war ein freundlicher Mann, der einen Sohn im gleichen Alter hatte. Er lauschte Deks Geschichte über den Tod seiner Eltern – glücklicherweise besaß Dek genug Verstand, um bei seiner ursprünglichen Version zu bleiben – und nahm den Jungen unter seine Fittiche. Briefe wurden nach Mekatéhaven geschickt, mit dem Ziel, Inyas Familie zu finden. In der Zwischenzeit wurde Dek in den Soldatenunterkünften untergebracht und entwickelte sich zum Maskottchen der Wachen. Wer konnte auch schon einem Jungen widerstehen, der nicht wusste, wie man ein Ei aß oder mit Geld umging, der nie auf einem Stuhl gesessen, aus einer Flasche getrunken, Wasser aus einem Brunnen gepumpt oder Schuhe getragen hatte, der nie einen Hund getätschelt oder eine Katze hatte schnurren hören? Sie waren nicht unfreundlich, aber Dek wurde bald ein Quell endloser Erheiterung für die Wachen. Er lernte, sich ein ausdrucksloses Lächeln zuzulegen, während er hoffte, dass sie es irgendwann leid werden würden, ihn wegen irgendwelcher Dinge zu narren, die er nicht kannte.
Irgendwann im Laufe der Zeit traf eine Nachricht von Mekatéhaven ein. Es waren siebzehn Jahre vergangen, seit Inya und ihr Vater verschwunden waren, und wenn Inyas Bruder, der jetzt das Familienoberhaupt war, auch bereit war anzuerkennen, dass dieser Waisenjunge durchaus das Kind von Inya sein konnte, so glaubte er doch nicht, dass irgendetwas gewonnen sein würde, wenn der Junge in seinem Haus in Mekatéhaven untergebracht werden würde. Aber der Bruder war ein großzügiger Mann und schlug vor, die anfallenden Kosten dafür zu übernehmen, dass Dek ein Platz in der Stadtwache zugestanden wurde, und ihn mit einer Abfindungszahlung zu versehen, damit er sich Kleidung und was er sonst noch benötigte kaufen konnte.
Der Offizier empfahl Dek, das Angebot anzunehmen. » Dein Onkel ist nicht verpflichtet, für dich zu sorgen«, erklärte er Dek. » Deine Mutter mag zwar einen Teil des Besitzes ihres Vaters beanspruchen können, aber du kannst nicht beweisen, dass du ihr Sohn bist. Und darüber hinaus bist du ein uneheliches Kind. Am besten, du nimmst das Angebot an und wirst Mitglied der Wache, wie er es vorgeschlagen hat.«
Dek hatte wenig Erfahrung mit der Beurteilung von Menschen. Er hatte tatsächlich nur zwei Leute in seinem ganzen Leben kennen gelernt: seinen Vater, der ihn regelmäßig geschlagen und ihm nie auch nur die leiseste Zuneigung entgegengebracht hatte, und seine Mutter, die ihn genügend geliebt hatte, um für ihn zu sterben. Er hatte keine Ahnung von Leuten, die sich irgendwo zwischen diesen beiden Polen befanden, aber irgendetwas sagte ihm, dass der Offizier es gut mit ihm meinte. Er nahm also den Rat an und wurde Mitglied der Stadtwache. Er huldigte seiner Mutter und legte sich den Namen Grinpindillie zu.
Das erste Jahr war außerordentlich lang, da er eine endlose Folge von Witzen über sich ergehen lassen musste. Im Laufe der Zeit begann er jedoch zu begreifen, dass er nicht alles glauben durfte, was man ihm sagte. Er lernte seine neue Welt gut genug kennen, um sich einfügen zu können.
Damit war er allerdings noch längst nicht alle seine Probleme los. Es war schön und gut für einen vierzehnjährigen Jungen, Mitglied der Stadtwache zu sein; etwas ganz anderes war es, wenn dieser junge Wachmann so klein war, dass er seinem Vorgesetzten bis zu den Brustkordeln seiner Uniform reichte. Es war offensichtlich, dass Dek in dem ganzen Jahr, das er bei ihnen verbracht hatte, keinen Zoll gewachsen war. Obwohl er von dem besseren Essen etwas
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