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Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler

Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler

Titel: Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenda Larke
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auseinanderbrach. Sie wurde verletzt, das Gesicht aufgerissen, ein Knie zerschmettert, und klammerte sich, allein im wilden Meer, an irgendwelche Trümmer. Schließlich wurde sie in das ruhigere Gewässer der Buchten getrieben, wo Bolchar sie einen Tag später fand, als er sein Boot vom Festland wieder zurück zum Pfahlhaus ruderte. Er nahm sie mit und ließ sie nie wieder gehen.
    Zuerst war es leicht. Sie war verletzt und durch die Schmerzen, das ständige Untertauchen und den Blutverlust geschwächt. Sie lag auf seiner Pritsche, aß die Fischsuppe, die er ihr gab, und verbrachte die meiste Zeit in einem Dämmerzustand, selten unterbrochen von ein paar Augenblicken, in denen sie bei Bewusstsein war. Als sie sich erholt hatte, konnte sie nicht sprechen. Ein Riss zog sich von ihrer Wange bis zu ihrem Mund; es dauerte Wochen, ehe sie verständliche Worte formen konnte, und selbst dann noch war ihre Aussprache verzerrt. Das Knie war unwiderruflich hinüber, und es war klar, dass sie das Bein den Rest ihres Lebens nachziehen würde. Als sie sich schließlich von der Pritsche aufrappelte und in die Welt blickte, die nicht die ihre war, weinte sie. Inzwischen hatte sie den begehrlichen Glanz in Bolchars Augen wahrgenommen. Sie wusste, dass sie nie würde entkommen können. Sie wusste, was mit ihr geschehen würde.
    Es war sinnlos, Widerstand zu leisten. Bolchar war stark genug, mit ihrem Körper zu tun, was er wollte. Wenn sie nachgab und sich fügte, wurde sie zumindest nicht geschlagen. Als Dek auf der Welt war, besaß Bolchar einen zusätzlichen Hebel, mit dem er sie unter Druck setzen konnte. Er musste nur dem Jungen eins auf den Kopf geben, und sie war bereit, alles zu tun, um ihn zufriedenzustellen.
    Sie hatte keinen Spiegel, um ihr Gesicht zu sehen, aber sie sah den Blick der Fischer, die gelegentlich zum Haus kamen. Sie sah deren Gereiztheit, wenn sie versuchte, sich ihnen in ihrer unbeholfenen, verzerrten Sprache verständlich zu machen. Einmal hörte sie, wie einer von ihnen lachte und sie als die schwachsinnige Frau des Wahnsinnigen bezeichnete. Selbst wenn sie entkommen sollte, was würde aus ihr werden? Sie hatte keine Zukunft. Allerdings konnte ihr Sohn eine haben …
    Sie lebte für Dek, entschlossen, dass er, wenn er endlich alt genug war, um für sich selbst sorgen zu können, diesem Leben entfliehen sollte. Sie ließ ihre Geschichten in seine bereitwilligen Ohren strömen, um ihn auf die Welt vorzubereiten, die er jenseits der Kitamu-Buchten finden würde: Geschichten ihres alten Lebens, ihrer Familie, der großen Handelshäuser von Mekatéhaven. Geschichten von Abenteuern und Magie, die sie in ihrer Jugend von den Geschichtenerzählern gehört hatte. Geschichten, die sich um Politik drehten und beim Abendessen am Tisch diskutiert worden waren. Alles und jedes, an das sie sich erinnerte.
    Dek saugte das alles auf. Wenn er manchmal Probleme hatte, die einzelnen Geschichten auseinanderzuhalten, konnte man ihm dafür keinen Vorwurf machen: Er hatte sie nicht aus erster Hand erlebt. Er wusste nicht einmal, wie es war, als Wissender zu leben; es gab keine Magie in den Kitamu-Buchten, die er hätte wahrnehmen können, keine Silbbegabten, keine Dunkelmagier.
    Als er zwölf war, wies Inya ihn an, dass er beim nächsten Mal, wenn er mit seinem Vater zum Festland hinüberfuhr, fliehen sollte. Sie sagte ihm, er solle nach Mekatéhaven gehen, zu ihrer Familie. Er weigerte sich, sie zu verlassen. Es wurde eine Litanei, die sie ihm jedes Mal, wenn er sie verließ, ins Ohr flüsterte; er kam immer wieder zurück. Dann, eines Tages, als er fast vierzehn war und zurückkehrte, war sie weg. Verschwunden, ohne irgendeine Spur, die ihm verraten hätte, was geschehen war.
    Es war nicht nötig. Er wusste es. Nachdem er und Bolchar sich auf den Weg gemacht hatten, musste sich die Strömung zurückgezogen und die graue Fläche aus Schlamm bloßgelegt haben, der so tief war, dass er gut und gern einen Mann verschlucken konnte. Oder eine Frau, die von einem Fenster des Hauses aus hinuntersprang …
    Und er wusste auch, warum sie es getan hatte: damit er endlich wegging.
    Seine Reue war gewaltig, aber seine Wut hatte ein klares Ziel. Als er das nächste Mal mit Bolchar zum Ufer hinüberfuhr, stieß er seinen Vater über Bord, schlug ihn mit dem Ruder bewusstlos und ertränkte ihn. Er bedauerte lediglich, dass er das nicht schon vorher getan hatte, um so seine Mutter zu retten. Dann ruderte er das Boot zu dem Küstenstädtchen, in

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