Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
Wirt hergeschickt worden war, um meine Bestellung aufzunehmen, starrte mich mit offenem Mund an.
Ich starrte zurück. » Was is los, Junge? Noch nie gesehen, wie jemand mit sich selbst spricht?«
Er gaffte mich weiter an.
» Geh und bring mir etwas gewässerten Met.«
Ruarth flog hinunter und setzte sich auf die Holzplanken des Tisches, während der Junge davoneilte. Ich mache mir Sorgen. Sie wirkt irgendwie … verändert, sagte er.
» Sie is vergewaltigt worden. Das Trauma von dem, was sie durchgemacht hat, wird immer wiederkehren. Du kannst nich erwarten, dass sie wieder so wird wie früher, und …«
Glaubst du, das weiß ich nicht? Ich war dabei, schon vergessen?
Ich hatte das Gefühl, als würde sich der Boden unter meinen Füßen verlagern. » Süße Schöpfung«, flüsterte ich und fragte mich, ob ich ihn richtig verstanden hatte. » Du hast gesehen, was passiert is?«
Nicht beim ersten Mal. Das erste Mal war, als sie bei der Schenke, in der wir gewohnt haben, zur Toilette hinuntergegangen ist. Als sie nicht zurückgekehrt ist, bin ich losgezogen und habe nach ihr gesucht. Ich fand sie auf dem Boden … Und ich habe Morthreds Handlanger gesehen, die sie mitgenommen haben. Ich bin ihnen gefolgt.
Er schwieg; es war eine Pause, die ewig zu währen schien.
Ja, sagte er schließlich. Ich habe gesehen, was er ihr angetan hat, später in dieser Nacht in dem Haus. Ich war da. Ich habe gehört, was er zu ihr gesagt hat, während er es getan hat. Er legte den Kopf auf Vogelart schief und sah mich nur mit einem einzigen Auge an, aber diesmal wirkte sein Blick ganz und gar menschlich. Er war auch nicht der Einzige. Sie alle …
Erneut entstand eine lange Pause. Ich musste den Drang unterdrücken, den Inhalt meines Magens wieder von mir zu geben.
Und dann ist sie zu ihm zurückgekehrt. Sie ist nach Kredo gegangen, absichtlich. Um Glut und Thor zu retten. Auch da war ich dabei. Nacht für Nacht für Nacht.
Es dauerte lange, ehe ich wieder sprechen konnte. Ich öffnete mehrmals den Mund, aber es gab keine Worte, die ich hätte sagen können. Ich erinnerte mich an das, was Glut mir gesagt hatte: Flamme und Ruarth waren zusammen aufgewachsen. Sie waren unzertrennlich. Und doch war er machtlos gewesen und hatte ihr nicht helfen können, weil er nur ein Vogel war, weil die einzige Person, die ihn verstand, Flamme selbst gewesen war.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich mich gefühlt hätte, wäre so etwas Jastriá und mir passiert, ohne dass ich die Möglichkeit gehabt hätte einzugreifen. Es war unvorstellbar. Über alle Maßen schmerzhaft. Etwas, das einen Mann auf eine Weise kleinmachen würde, wie es nur ein Mann wahrhaft verstehen konnte. Ein Mann – oder vielleicht ein männlicher Dunstiger.
Als der Schankjunge mit dem Met zurückkehrte, leerte ich den Becher in einem Zug.
» Ich kann mir nich vorstellen, wie ihr beide das ausgehalten habt«, sagte ich schließlich.
Eines Tages werde ich ihn töten.
Ruarths Erklärung hätte lächerlich klingen müssen. Er war nicht größer als meine Handfläche. Sein Schnabel war kürzer als einer meiner Fingernägel. Seine Krallen waren weniger gefährlich als der Dorn einer Rose.
Und doch sprach er die Worte mit so viel kalter Leidenschaft, als wären sie eine nackte Tatsache, so dass sie ganz und gar nicht lächerlich wirkten.
Am wahrscheinlichsten war, dass meine Unsicherheit und mein Unwohlsein durch einen Geruch erzeugt wurden, der so stark war, dass er jeden anderen übertraf. Tatsächlich war er wie ein körperlicher Schlag in meine Eingeweide. Jedes Mal, wenn ich ihn roch, wirkte er stärker. Mächtiger.
» Dunkelmagie«, sagte Glut. » Jemand ist hier langgekommen.«
Obwohl sie das sagte, war ich mir ziemlich sicher, dass sie es nicht glaubte. Sie dachte, es wären die Reste der Vergiftung, die Flamme erlitten hatte, ein Aufflackern von etwas in ihrem Innern. Etwas, das Flamme teilweise beherrschen konnte. Etwas, von dem sie sich schließlich an dem Tag völlig befreien würde, an dem Morthred starb.
Genau zehn Tage nach unserer Ankunft in Amkabraig erzählte Glut mir beim Frühstück im Orchideengarten, dass sie sich entschieden hatten aufzubrechen. » Ich rate Euch, ebenfalls weiterzureisen oder Euch wenigstens zu verstecken«, sagte sie. » Nur für den Fall, dass das nächste Postschiff den Wachen des Havenherrn oder den Fellih-Wachen eine Nachricht über uns überbringt.«
Wenn du willst, werden meine Dunstigen-Freunde am Kai herumfliegen, wenn
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