Die Inseln des Ruhms 3 - Die Magierin
wirkte ziemlich stabil und schien auch nicht ständig von Felsrutschen bedroht zu sein wie Xolchas. Dafür war das System der Schwingen umständlich und gefährlich: Immer wieder starben Menschen, weil Seile ausgefranst waren oder Flaschenzüge klemmten und Schwingen plötzlich und unerwartet kippten. Der größte Nachteil bestand aber in der Lage von Brethbastei, wenn man es mit dem Rest der Insel verglich. Die geschützten Ufer der südöstlichen Provinz waren reich an allem, was die Insel so wohlhabend machte. Es gab fruchtbare Ebenen, auf denen Getreide wuchs, Kupfer- und Silberminen, große Gebiete mit Nepheta-Bäumen, die sich gut für Schiffsmasten eigneten, und Herden aus langhaarigen Schafen. Doch die Hauptstadt der Insel, das Herz ihres Handels und ihrer Kultur, war diese aus Stein gehauene Stadt, die sich abseits der wohlhabenden Regionen befand und auf einen endlosen Ozean hinausblickte, den nie jemand überquerte. Zur Zeit der Piraterie mochte dies von Vorteil gewesen sein, als es wichtig gewesen war, ein gutes Versteck zu besitzen, aber das war jetzt längst nicht mehr so.
» Toller Anblick, was?«, bemerkte eine der Wachen zu mir, während die andere sich weiter mit Lyssal unterhielt. » Ich krieg trotzdem immer eine Gänsehaut, wenn ich so hoch oben bin. Ich bin in der Abschaum-Zeile aufgewachsen.«
» Ist das Meer da unten jemals richtig rau?«
» Im Bottich? Nein. Aber es kommt vor, dass die Schiffe den Eingang nicht passieren können, wenn das Wetter schlecht ist. Um ein Schiff sicher und wohlbehalten hier reinzubringen, braucht es einen guten Seemann. Und wenn der Wind von Nordwesten weht, sammelt sich jede Menge Seegras in dem verfluchten Bottich. Beim Graben, das stinkt, kann ich Euch sagen. Es gibt nicht viel, wovon einem so kotzübel wird wie von verrottendem Seegras. Zahlt sich nicht aus, unten am Wasser zu wohnen.«
» Ich kann es sogar jetzt riechen, von hier oben.«
Er lächelte mich an, und ich stellte fest, dass er kaum Zähne im Mund hatte. » Das ist Eure cirkasische Scheiße, kleiner Mann.«
» Wie bitte?«
» Was glaubt Ihr wohl, wohin die geht? Sie wandert hier unten in den Bottich. Jedes Mal, wenn Ihr den Abort benutzt. Zusammen mit dem Mist von allen anderen. Und dem, was sie aus den Fenstern werfen: Eierschalen, Kohlreste, tote Katzen– was auch immer. Diese Bucht da unten ist unser Misthaufen. Was in Ordnung ist, wenn die Flut und der Fluss den Bottich sauber durchspülen. Nur bläst der Wind hin und wieder aus einer anderen Richtung, und dann kann die Flut ihre Arbeit nicht mehr richtig erledigen…« Er zupfte sich an der Nase. » Das gibt einen Gestank, dass sich einem die Haare kringeln. Und dann, glaubt mir, ist es nicht so witzig, als Schleppjunge zu arbeiten, oder als Straßenfeger oder Steinbrecher, und gleich hinter den Docks zu wohnen. Deshalb bin ich zur Palastwache gegangen, wir Wachen leben nämlich in der Piraten-Ader direkt unter dem Palast. Dort ist es nett und windig, und die Luft riecht nach nichts anderem als Salz.«
Die Schwinge kam ruckartig zum Stehen, und die Begleiter schoben die Bolzen ein, mit denen sie an der Station verankert wurde. Lyssal verließ die Schwinge, und der Offizier deutete auf die bewachten Doppeltüren vor uns. » Durch diese Tür da, Herrin«, sagte er. » Sie führt Euch direkt in den Warteraum. Der Basteiherr wird inzwischen benachrichtigt werden, dass Ihr angekommen seid, und sobald er bereit ist, wird man Euch vorlassen.« Lyssal nickte und schlenderte zu den Türen. Wachen sprangen herbei und beeilten sich, sie zu öffnen; ich folgte ihr auf den Fersen. Sie sprach kein Wort mit mir, während wir warteten, abgesehen davon, dass sie mir auftrug, einen Schritt hinter ihr zu gehen, wenn man sie rufen würde.
Wir mussten nicht lange warten. Ein paar Minuten später wurden wir in den Audienzsaal geführt und schritten über einen langen, purpurroten Teppich auf den Thron am anderen Ende des Saals zu. Vielleicht war der Saal sonst voller Menschen; an diesem Tag war er jedoch leer, abgesehen von dem Inselherrn und einer Handvoll sich um ihn scharender Höflinge und Berater. Rolass Trigaan, der Basteiherr, ging auf die sechzig zu und war ein derbes, fettes Tier von Mann, der sich Grausamkeiten und Ausschweifungen hingab und von seinem Volk genauso verachtet wurde wie von anderen Inselherren. Ich hatte ihn natürlich schon früher gesehen, tatsächlich etwa vor sechs Monaten, als er zu einem Staatsbesuch in Cirkaseburg gewesen war
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