Die Inselvogtin
und würden bald in die Tat umgesetzt werden können. Diesen Sommer schon wollte sie damit beginnen, auf einer Insel die Wellenbrecher in den Sand zu spülen und die Flächen gezielt zu begrünen. Doch seit sie Weerts Antrag abgelehnt hatte, waren ihr sämtliche Mittel gestrichen und die Erlaubnis, das Hofgelände eigenmächtig zu verlassen, entzogen worden. Ihr alter Widersacher hatte dafür gesorgt, dass ihre Arbeit nur noch auf diese vier Wände hier und bestenfalls die Burgmauern beschränkt blieb. Sie war eine Gefangene geworden, mehr nicht. Das Meer hatte sie schon lange nicht mehr gesehen, und den Wind hörte sie nur, wenn er nachts um das Gebäude wehte.
Plötzlich vernahm Maikea einsames Hufgeklapper, was für diese frühe Zeit sehr ungewöhnlich war. Sie öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. Und was sie dort im Schein der Hoflaternen zu sehen bekam, war noch ungewöhnlicher. Es war kein Soldat auf seinem Pferd, kein Dienstbote, Stallbursche oder Gesandter, sondern der Fürst persönlich. Carl Edzard von Ostfriesland kam auf seinem edlen Apfelschimmel angeritten, ohne sein übliches Gefolge, das ihn sonst von allen Seiten umgab wie ein zweiter Mantel. Er hielt ein braunes Pferd am Zügel. Es war bereits aufgezäumt, doch sein Reiter fehlte. Was hatte der Fürst vor?
Unter ihrem Fenster blieb er stehen, blickte hinauf und zögerte einen Moment, als habe es ihn erschreckt, beobachtet zu werden.
»Seid Ihr Maikea Boyunga?«, fragte er schließlich, und Maikea wunderte sich einmal mehr über seine jungenhafte Stimme, die nicht zu diesem pompös gekleideten Mann passen wollte.
Sie hatte den Fürsten oft von weitem gesehen, doch noch nie war sie ihm direkt begegnet. Vor ewigen Zeiten war ihr eine Audienz versprochen worden, aber Weert hatte sie bislang immer wieder verschoben.
»Die bin ich.«
»Kommt herunter, so schnell es geht. Ihr könnt doch reiten?«
Sie nickte, dann fasste sie, ohne weiter zu überlegen, nach ihrem Mantel, zog sich die Stiefel an, band sich das Haar zurück und lief in den Hof.
»Hat Euch jemand beobachtet?«, begrüßte sie der Fürst mit sorgenvoller Miene.
»Ich denke nicht. Was habt Ihr vor, Durchlaucht?«
»Setzt Euch auf das Pferd. Und lasst diesen albernen Titel weg. Wir werden einen kleinen Ausritt machen, nur wir beide, und für diese Zeit möchte ich, dass Ihr mich Carl Edzard nennt und vergesst, wer ich bin.«
Maikea verstand nicht, was hier geschah, doch sie zögerte nicht, seiner Aufforderung zu folgen. Die schläfrigen Wachen im Schlosstor schienen ihren Augen nicht zu trauen, als sie erkannten, wer hier einen frühmorgendlichen Ausritt wagte, doch sie ließen sie wortlos passieren.
Carl Edzard hielt in der einen Hand eine Laterne, mit der anderen lenkte er sein Pferd einen schmalen Weg am Schloss entlang. Dann trabten sie durch kleine Gärten, deren Schemen Maikea in der Dunkelheit kaum wahrnehmen konnte. Dahinter, das wusste sie, lagen freie Felder, ein kleines Wäldchen und zahlreiche Entwässerungskanäle. Aber die Pferde schienen den Weg zu kennen und fielen in schnellen Galopp, obwohl man nur wenige Ruten voraus sehen konnte.
Nachdem sie schon eine halbe Stunde geritten waren, ohne dass ein einziger Satz gefallen war, riss der Fürst plötzlich die Zügel stramm, so abrupt, dass sein Hengst kurz stieg, bevor er schnaubend stehen blieb.
»Hier kann uns kein Ohr mehr hören und kein Auge mehr sehen «, stellte Carl Edzard fest, doch trotzdem schien er auf der Hut zu sein, als wären sie von unsichtbaren Feinden umzingelt. »Jantje hat Euch unser Geheimnis erzählt. Ihr wisst, dass sie meine rechtmäßige Gattin ist. Und nun sagt mir die Wahrheit: Habt Ihr den Rebellen davon berichtet?«
Maikea erschrak. »Ihr glaubt, ich hätte etwas mit dieser Entführung zu tun?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll! Wisst Ihr, dass ich seit diesem verfluchten Neujahrstag nur noch leide? Ich mache mir solche Vorwürfe, weil ich sie nicht schützen konnte. Und immer wieder habe ich überlegt, welche Rolle Ihr dabei spielt!«
»Keine!« Es klang keineswegs überzeugend, war Maikea sich doch selbst nicht sicher. Vielleicht war sie tatsächlich so etwas wie ein Schlüssel in dieser Geschichte, immerhin hatte sie vor fast einem Jahr dem Weißen Knecht erzählt, wie nah der Fürst und ihre Freundin sich standen. »Niemals hätte ich Jantjes Vertrauen so missbraucht.«
»Bitte, Ihr müsst mir die Wahrheit sagen! Wisst Ihr, was ich in diesem Moment
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