Die Inselvogtin
Freiheit für Ostfriesland zurück, wie … «
»Bitte, erspart mir die Vorrede, Switterts. Ich glaube diesen Verbrechern kein Wort.«
»Da sind wir einer Meinung, Eure Durchlaucht. Also, sie fordern unter Punkt eins die sofortige Rückgabe der Steuerhoheit. Sie schreiben: Schulden, die durch Sturmfluten und andere Katastrophen bei den Nachbarländern aufgenommen wurden, dürfen nicht nur zu Lasten des Volkes gehen, während das Fürstenhaus weiter seiner Verschwendungssucht frönt. Darum soll das Recht der Steuerverwaltung ab sofort wieder in den Händen der Stände liegen.«
»Was meinen die Rebellen nur mit Verschwendungssucht?«, fragte Wilhelmine. »Wir sind ein pietistisch geprägter Hof, Bescheidenheit und Gottesfurcht sind oberstes Gebot.«
»Im Punkt zwei geht es um eine vermeintlich gerechtere Aufteilung der Deichbaupflichten, Punkt drei und vier beschäftigen sich mit den sozial benachteiligten Menschen in diesem Land.«
»Wissen die denn nicht, dass wir dreimal täglich in unserer Kapelle für die Armen und Kranken beten?« Wilhelmine war empört, doch Switterts las ungerührt weiter:
»Sie wünschen sich Straffreiheit für alle wegen politischer Vergehen Inhaftierten und Verfolgten.«
»Damit meinen sie sicher auch diese furchtbaren Insulaner, die letzte Woche ausgebrochen sind. Mich würde nicht wundern, wenn diese Kerle gestern auch dabei gewesen sind.«
»Des Weiteren verlangen sie die sofortige Absetzung des Juister Inselvogtes und eine Neubesetzung dieser Stelle durch den Schiffer Eyke … Und Ihr habt recht, dieser Eyke ist einer der Landesverräter, die der Fürst zum Tode verurteilt hat.«
»Auf diese Forderungen wird mein Gatte niemals eingehen, er würde doch sonst seine Glaubwürdigkeit verlieren.« Aber noch während Wilhelmine diesen Satz aussprach, wusste sie, dass sie mit dieser Einschätzung wahrscheinlich unrecht hatte. Carl Edzard würde alles in seiner Macht Stehende tun, damit die Rebellen zufriedengestellt wären und Jantje Haddenga zurückbrachten. Und genau das musste sie verhindern, denn nur dann konnte sie der Öffentlichkeit wieder mit dem erhobenen Haupt einer stolzen Fürstin begegnen.
»Switterts, meint Ihr, wir beide können den Fürsten dabei unterstützen, dass er sich nicht auf diese Verhandlungen einlässt?«
Der Geheimrat schwieg, doch Wilhelmine meinte, ein Blitzen in seinen Augen gesehen zu haben. Wie schön es wäre, wenn dieser Moment ewig dauern könnte, dachte sie. Dieses wunderbare, helle Zimmer war viel bequemer als das Gemach im Schloss. Zudem genoss sie es, mit dem Geheimrat über Politik zu reden, denn endlich wurde sie ernst genommen als Herrscherin, die sehr wohl eine Ahnung hatte vom Geschehen im Lande.
Und dann stand da dieser stattliche Mann am Fenster, den sie gleich zu sich rufen würde, damit er ihr dabei half, die Angst und den Schrecken der letzten Nacht zu vergessen.
19
E s war kaum auszuhalten.
Nun wartete Maikea schon drei Monate darauf, dass die Rebellen ihr Wort hielten und Jantje wieder gehen ließen. Es hieß, der Fürst habe alle Forderungen erfüllt, den Vertrag unterschrieben und die Umsetzung der Veränderungen bereits veranlasst. Der Juister Inselvogt war seines Amtes enthoben worden und die Amnestie der politischen Gefangenen an alle Gefängnisse weitergereicht.
Im Hof welkten die Märzenbecher und machten den Krokussen und Narzissen Platz. Die ersten Vogelstimmen bereiteten dem langen, stummen Winter ein Ende. Doch noch immer war ihre Freundin nicht zurückgekehrt.
Maikea saß in ihrem Zimmer und blickte aus dem kleinen Fenster. Noch war die Sonne hinter den Zinnen des Schlosses längst nicht aufgegangen, doch in ein oder zwei Stunden würde die Morgendämmerung ihr erstes Licht schicken. Sie hatte die ganze Nacht hindurch gearbeitet. Und trotzdem fielen ihr die Augen noch immer nicht zu.
Seit der Entführung war für Maikea an Schlaf kaum zu denken. Wenn die Müdigkeit sie dann doch überfiel, fand ihr Körper nur für ein paar Stunden die Ruhe, die er so nötig brauchte. Ansonsten fühlte sie sich getrieben von einer Unruhe, die sie zwang, zu arbeiten, zu grübeln, zu zweifeln und wieder zu arbeiten. Ihre Haare waren stumpf geworden, die Haut blass und die Arme fast mager. Man hätte meinen können, sie leide an der Schwindsucht. Und wenn Maikea in den Spiegel schaute, war ihr oft, als begegne sie ihrer Mutter.
Dabei hätte sie allen Grund, stolz und glücklich zu sein, denn ihre Pläne waren weit vorangeschritten
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