Die Inselvogtin
Hand angelegt. Aber das brauche ich dir ja nicht zu erklären, bei solchen Aufträgen kennst du dich bestens aus.«
»Aber … « Wurde Rudger tatsächlich grün im Gesicht? Er stotterte. »Damals, das … Das war ein alter Mann, Weert. Und nun sollen wir ein Neugeborenes und seine Mutter …?«
»Rede nicht lang herum. Je eher du es hinter dich gebracht hast, desto schneller kannst du deine Trientje ehelichen. Also, worauf wartest du noch?«
21
D ie Mühle stand allein auf grüner Fläche. Im Sommer, wenn die Schlingpflanzen an ihr emporkrochen, war das Gebäude gut versteckt. Das wusste Maikea, weil sie im vergangenen Jahr bei ihrer Wanderung an diesem Ort vorbeigekommen war, und in den alten Mauern übernachtet hatte. Doch jetzt im Frühling waren die rußigen Wände noch nackt, und man konnte das Bauwerk schon von weitem erkennen.
Dass sie dieses Versteck so schnell gefunden hatte, war dem gut gefüllten Geldsäckchen zu verdanken, das Carl Edzard ihr mitgegeben hatte. Von ihm hatte sie auch die braune Stute bekommen, mit der sie die Strecke weit zügiger überwinden konnte als zu Fuß. Hoffentlich komme ich nicht zu spät, dachte Maikea, als sie vom Pferd stieg und sich vorsichtig der Mühle näherte.
»Was willst du hier?« Ein Mann mit grimmigem Gesicht stand plötzlich neben ihr.
Wie er sich in dieser Einöde an sie herangepirscht hatte, war Maikea ein Rätsel. Die Rebellen hatten wohl Erfahrung damit, unerwartete Gäste abzufangen.
»Ich bin Maikea Boyunga. Sagt dem Weißen Knecht, dass ich hier bin.«
Der Befehlston schien den Wachposten zu überzeugen, denn er schritt eilig davon. Ein zweiter Kerl, der nun hinter einem der kargen Sträucher hervorkam, baute sich vor Maikea auf und verschränkte die Arme. »Du bleibst solange hier stehen, verstanden?«
Es dauerte nicht lang, bis der erste Mann wieder aus der Mühle trat und ihr mit einem Wink beschied, sie solle herüberkommen.
Maikea war froh, das letzte Stück reiten zu können, denn sie fürchtete, die Beine würden ihr gleich den Dienst versagen. Zwei Tage war sie geritten, und ihr taten alle Knochen weh, aber dieses weiche Gefühl in den Knien rührte woanders her. Sie würde gleich dem Weißen Knecht begegnen. Und sie hatte keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte. Einerseits wollte sie ihm gern die Fäuste auf die Brust trommeln, ihn beschimpfen, ihm all die Wut und Enttäuschung ins Gesicht schreien, die in ihrem Inneren kochte. Andererseits sehnte sie sich nach seinem Lächeln.
Langsam glitt Maikea aus dem Sattel, band das Pferd an einem verkrüppelten Birkenbäumchen fest und trat ein.
Ihre Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, dann konnte sie den runden Raum ausmachen. Es waren noch drei weitere Kerle anwesend, sie saßen auf alten Mühlsteinen und rußschwarzen Holzbalken. Einer von ihnen schaute sie überrascht an. Er war hager, seine Augen lagen tief im Gesicht, und seine Haut glich altem Leder.
»Ihr seid Eyke, der Schiffer, oder nicht?«, fragte Maikea. »Erinnert Ihr Euch? Vor Jahren habt Ihr mich mit Eurer Schaluppe nach Norden gefahren.«
Der Angesprochene erwiderte ihre Freundlichkeit nicht. »Das ist eine Ewigkeit her. Nun bin ich kein Schiffer mehr.«
»Ihr solltet hingerichtet werden, oder?«
»Aber ich lebe noch «, war die knappe Antwort.
Maikea überlegte kurz, ihm zu erzählen, wem er diese Tatsache zu verdanken hatte. Doch sie entschied sich dagegen. Er sollte nicht glauben, dass Maikea sich ihnen anschließen wollte. Damals, gut, da hatte sie ihren einzigen Schatz dafür hingegeben, die Männer zu unterstützen. Und als sie dann vom gelungenen Ausbruch der Insulaner gehört hatte, war es ihr richtig erschienen, das Medaillon gegen die Freiheit dieser Männer eingetauscht zu haben. Doch seit dem Neujahrstag war alles anders. Sie wollte mit diesen Verbrechern nichts mehr zu tun haben. Niemals wieder. Ihr Interesse galt allein Jantje.
Eyke spuckte vor ihr aus. »Weiß der Henker, warum der Weiße Knecht dich empfängt, wir würden es auf keinen Fall tun. Du bist eine Verräterin. Arbeitest mit Switterts am Hof. Trinkst den ganzen Tag edle Weine und trägst vornehme Stoffe. Schau dir doch nur mal dein Kleid an, davon hätte ich meine Familie zwei Monate satt gekriegt. Wenn es nach uns ginge, würden wir dich verjagen!«
»Was ist hier los?«, dröhnte eine Stimme von oben. Als Maikea den Kopf wandte, sah sie den Weißen Knecht am oberen Ende einer Leiter stehen. Er hatte nicht geschrien. Seine
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