Die Inselvogtin
aber gut bezahlt, damit sie bis zum Morgen neben ihm liegen blieb. Nun zog sie sich rasch die Kleider über und drückte sich an der Wand entlang zur Tür. Niemand hielt sie auf.
»Weert Switterts, ich lasse Euch festnehmen und enthebe Euch sämtlicher Ämter, die Ihr innehabt.« Carl Edzards Stimme bebte vor Aufregung. »Ich wünsche nicht, dass Ihr Euch noch einmal in meiner Nähe blicken lasst. Über Euer weiteres Schicksal mögen die Richter entscheiden, aber ich versichere Euch: Ein Todesurteil unterschreibe ich gern!«
Schon trieben ihn die Soldaten voran, stießen ihre scharfen Lanzen in seine Kniekehlen und behandelten ihn wie ein Stück Vieh.
»Was wird mir zur Last gelegt?«, rief Weert, doch er konnte sich denken, was geschehen war. Rudger, dieser undankbare, verblödete Idiot, musste ein paar Geheimnisse ausgeplaudert haben. Weert warf einen Blick in seine Richtung und entdeckte ein seltsames Grinsen auf seinem Gesicht. War Genugtuung darin zu erkennen? Als sie ihn durch das Treppenhaus schubsten, folgte sein alter Begleiter ihm auf Schritt und Tritt.
»Ich habe ihnen alles gesagt, mein werter Freund!« Der Spott in Rudgers Stimme war ätzend. »Angefangen habe ich bei unserer Schlägerei im Hof des Waisenhauses, aufgehört mit dem Tod Jantje Haddengas, der gar nicht von den Rebellen verschuldet war. Ach ja, und das Schicksal des Kartenmalers sowie des verehrten Kanzlers Brenneysen habe ich auch ein für alle Mal aufgeklärt. Das müsste reichen, damit du so bald wie möglich in der Hölle schmorst!«
»Aber was habe ich dir denn getan?«, jammerte Weert. Doch Rudger drehte sich um und verschwand aus seinem Blickfeld. Die Antwort blieb er ihm schuldig.
Erst als Weert auf dem harten Steinboden saß und die Tür der Gefängniszelle krachend ins Schloss fiel, wurde ihm richtig bewusst, was in den letzten Minuten geschehen war. Eben noch hatte er in seinem Haus im warmen Bett gelegen, war Geheimrat gewesen und hatte sich um nichts in der Welt sorgen müssen. Und nun saß er in diesem verdreckten Kellerverlies.
Schräg durch das vergitterte Fenster schienen vereinzelte Strahlen der Vormittagssonne. Weert sah sich um. In der Ecke lag ein zerlumpter Koloss und schnarchte. Wenn er sich nicht sehr täuschte, handelte es sich dabei um einen notorischen Schläger, über den er schon mehrfach vor Gericht ein Urteil gesprochen hatte. Es war besser, diesen Ort so früh wie möglich wieder zu verlassen. Denn dass er bis an sein Lebensende hier schmoren würde oder gar mit einem Todesurteil rechnen musste, wie der Fürst vorhin gedroht hatte, ließ er für sich nicht gelten. Er hatte hier in Aurich zu viele Fäden gesponnen, als dass er Angst vor dem tiefen Fall haben musste.
»Psst, hey, komm her!«, flüsterte er dem Wachmann zu, der apathisch auf seinem Schemel hockte und gegen den Schlaf kämpfte. »Wie heißt du?«
»Habbo Utzenga. Aber es ist mir untersagt, mit Gefangenen zu reden.«
»Du weißt aber doch, wer ich bin?«
Der Mann blinzelte. »Der Geheimrat, soweit ich weiß. Der Geheimrat im Schlafgewand!« Er bemühte sich noch nicht einmal, ein Lachen zu unterdrücken.
»Halt dein Maul! Nur weil ich jetzt hier sitze, würde ich an deiner Stelle nicht zu viele Späße auf meine Kosten machen. Denn ich werde schneller wieder draußen sein, als du gucken kannst. Und dann bin ich noch mächtiger als zuvor … «
»Wer’s glaubt, wird selig … «
Weert stand auf, ging zum verrosteten Gitter und rüttelte daran. Es war einfach unfassbar, dass Rudger ihn verraten hatte und nun hier vermodern ließ. »Ich will, dass du die Fürstin kommen lässt!«
Der Wächter zeigte außer einem nach oben gezogenen Mundwinkel keine Reaktion.
»Habbo, ich werde dich reich belohnen, wenn du jetzt tust, was ich sage!«
»Langsam gehst du mir auf den Geist!«, entgegnete der Mann unwirsch. »Sieh es ein, bislang warst du mein Gebieter, nun bin ich der deine. So schnell ändern sich die Verhältnisse.«
Weert begann zu zittern. Die dicken Mauern schienen aus gefrorenem Stein zu sein. Selbst an der schmalen Stelle, an der das Sonnenlicht seine Strahlen auf den Boden warf, war keine Wärme zu spüren. Er hätte sich gern gesetzt, doch es gab nirgendwo eine Stelle, die halbwegs trocken war, außer direkt neben seinem gefährlichen Mitgefangenen. Nie im Leben war er so gedemütigt worden. Das hatte er nicht verdient! Hatte er sich nicht all die Jahre für dieses Land aufgeopfert? Tag und Nacht für Ostfriesland
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