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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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schließlich ein Mädchen aus der fürstlichen Wäscherei geheiratet.
    Und nun stand Trientje auf einmal vor ihm. Was hatte das zu bedeuten? Er brachte kein Wort hervor.
    »Ich will dich nicht belästigen!«, sagte sie und blickte zu Boden. »Es ist nur … Dein Sohn, Gero … Er ist krank, kann nicht arbeiten, und mir fehlt die Kraft zu … «
    Nun konnte Rudger auch das Kind erkennen, denn der Mond warf sein blasses Licht auf den Jungen. Er hatte ein sonderbar schiefes Gesicht, seine Augen schauten nicht geradeaus, und Spucke tropfte ihm aus dem Mund. Er war stumpfsinnig, ein Idiot, der ihn scheel anlächelte.
    »Was ist mit ihm?«
    »Die Geburt hat sehr lang gedauert. Er steckte fest, und sie mussten ihn mit Gewalt aus mir herausziehen. Die Hebamme sagte gleich, dass er schwachsinnig wäre. Aber er ist ein lieber Junge, das musst du mir glauben.«
    »Natürlich, ich … « Ein Zittern durchlief Rudgers Körper, er war unfähig, weiterzureden. Wie musste Trientje gelitten haben! Warum war sie nicht schon früher zu ihm gekommen?
    »Das Geld, das du mir damals hast zukommen lassen, ist seit Jahren aufgebraucht. Wir müssen hungern. Und ich dachte nur … «
    Rudger ging auf sie zu und fasste sie an den Schultern. »Was redest du da? Ich habe dich niemals mit Geld abgespeist!«
    »Aber … « Sie schluchzte auf. »Der Geheimrat kam ins Haus, ließ zwanzig Gulden dort und richtete aus, du hättest eine anständige Frau gefunden, die besser zu dir passt. Ich solle mit dem Geld das Weite suchen und dich nicht länger belästigen. Und … «
    Alles zog sich in Rudger zusammen. Seine Augen wurden schmaler, waren nur noch auf diese Frau gerichtet, die er immer so geliebt hatte, die er immer noch liebte und die ihm nun diese furchtbare Geschichte erzählte.
    »Nichts davon ist wahr!«, unterbrach er sie so barsch, dass die ohnehin schon eingeschüchterte Trientje noch kleiner zu werden schien. Reumütig legte er seine Hand auf ihre Schulter. »Es tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Erzähle mir doch keine Lügen. Von Selma weiß ich, dass du gut geheiratet hast, dass du … «
    »Weert Switterts hat mir gesagt, du wärst tot. Wenn ich gewusst hätte, dass du noch lebst, dann hätte ich dich zur Frau genommen!«
    Trientje begann leise zu weinen. Rudger streichelte sie, wollte sie trösten. Doch in ihm wuchs etwas heran, das seine zärtlichen Hände zu Fäusten werden ließ. Eine Wut, die so übermächtig wurde, dass er am liebsten schreiend losgerannt und mitten in der Nacht in Weerts Haus eingedrungen wäre, um ihn dort zu treten und zu schlagen und zu würgen. Dieser Mann hatte sein ganzes Leben zerstört. Schon damals: Wie viel lieber wäre Rudger zur See gefahren, als Soldat zu werden! Was wäre aus ihm geworden, wenn er Trientje geheiratet hätte? Welche Schuld hatte er auf sich genommen? Denn er hatte gestohlen, gebrandschatzt, gefoltert und sogar gemordet – alles nur für diesen widerwärtigen Verräter!
    Der Zorn, das wusste Rudger auf einmal, hatte in ihm gewuchert wie ein ekelhaftes Geschwür, hatte ihn zum Säufer und Hurenbock gemacht. Aber jetzt war der Klumpen aus Hass zu groß und brach endlich auseinander.
    Rudger küsste Trientje auf die Stirn. »Bleib hier! Bevor es Morgen wird, bin ich wieder da, das verspreche ich dir bei meinem Leben!«
    »Was … Was hast du vor?«
    Er küsste sie statt einer Antwort, denn er wollte sie nicht beunruhigen.
    Es war an der Zeit, Rache zu nehmen.

2
    Z wölf Männer standen in seinem Zimmer. Erst dachte Weert, es wäre ein böser Traum, denn manchmal quälte seine Phantasie ihn des Nachts mit wirren Ängsten. Doch die Soldaten, die ohne anzuklopfen sein Zimmer betreten hatten, waren so real wie das verschlafene Weib in seinem Kissen und der leere Weinkrug auf dem Tisch.
    »Was zum Teufel … «, setzte er an, doch dann erstarrte er. Inmitten all der Männer stand Fürst Carl Edzard. Er war nicht gerade der größte und bei weitem nicht der furchteinflößendste von ihnen, aber dennoch war sein Gesicht kaum wiederzuerkennen. In den letzten Jahren hatte es stets fahl und ausdruckslos gewirkt, jetzt war es wutverzerrt. An seiner Seite entdeckte Weert seinen Sekretarius. Rudger trug eine ähnliche Miene zur Schau.
    »Kann mir mal jemand sagen … « Doch noch bevor Weert einen neuen Anlauf unternehmen konnte, traten die Soldaten auf ihn zu, fassten ihn links und rechts und schleppten ihn aus dem Bett. Das Weib kreischte. Er hatte ihren Namen vergessen, sie

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