Die Inselvogtin
auf! Du tust mir weh. Ich habe dir schon tausendmal gesagt, du sollst langsam mit dem Kamm hindurchgleiten, und wenn du einen Knoten findest, so löse ihn zuvor mit den Fingern. Ist das denn so schwer zu verstehen?«
»Entschuldigt, Eure Durchlaucht.«
Warum nur senkte diese Göre nicht ihr Haupt, wenn sie antwortete? Warum flüsterte sie nicht? Warum machte sie trotz der Schikane, der sie in der letzten Woche ausgesetzt war, stets eine freundliche Miene?
»Und wo bleibt meine warme Milch mit Honig und diesen ganz besonderen Tropfen?«
»Ich habe dem Kammerfräulein Bescheid gegeben, Eure Durchlaucht.«
»Tollkirsche hat der Apotheker mir gegeben. Wenn eine Frau von diesem Trunk vor dem Zubettgehen ein paar Tröpfchen nimmt, dann soll der Gatte ihr verfallen. Die ganze Nacht lang. Wollen wir mal abwarten, wie Carl Edzard darauf reagiert.« Wilhelmine musste lachen, denn die Vorstellung, ihr linkischer Ehemann würde sich aufgrund einer Medizin in einen liebestollen Kerl verwandeln, entbehrte nicht einer gewissen Komik.
Jantje schien es nicht besonders lustig zu finden. Wortlos flocht sie ihr einen dicken Zopf.
»Lass es offen, Jantje. Ein Mann mag blonde Locken auf dem Kissen, weißt du.« Wilhelmine grinste in sich hinein.
Damit konnte ihr Kammerfräulein mit den aschbraunen, glatten Haaren nämlich nicht konkurrieren. Doch in ihrem Gesicht zeigte sich keine Regung. Sie konnte noch so gemeine Dinge sagen, mit Worten ihr Gift verspritzen, es schien an ihrer Hausdame abzuperlen.
»Nun ist es gut. Gehe jetzt in die Räume meines Gemahls und richte ihm aus, dass ich ihn erwarte.«
»Das werde ich tun, Eure Durchlaucht.«
»Und füge hinzu, dass ich auch die letzten sechs Nächte nach seinem offiziellen Versprechen auf ihn gewartet habe. Leider vergeblich. Aber heute ist mein Körper besonders empfängnisbereit, hat mein Leibarzt errechnet. Er sollte meine Einladung in dieser Nacht daher besser nicht ausschlagen, sonst werde ich es Kanzler Brenneysen melden.«
Nun huschte doch noch ein Schatten über Jantjes Gesicht, aber sie sagte tapfer:»Ich werde es ihm ausrichten.«
»Wie?«
»Entschuldigt, Eure Durchlaucht. Ich werde es ihm ausrichten – Eure Durchlaucht!«
Mit einer Geste wies Wilhelmine das Mädchen an, das Schlafgemach zu verlassen. Doch kaum war Jantje hinausgehuscht, schlich sie hinterher. Zum Glück trug sie nur ihr Nachtgewand und einen bestickten Morgenmantel. Würde sie die gewöhnliche Garderobe tragen – Reifrock und Überkleid und Schmuck –, wäre eine lautlose Verfolgung kaum zu schaffen. Bei Bedarf würde sie also hinter einer Tür oder in einer Wandnische verschwinden können, schmal genug war sie ja. Doch die Vorsicht war übertrieben, denn kaum fühlte Jantje sich unbeobachtet, brach sie in ein lautstarkes Schluchzen aus, das alles übertönte.
Das Mädchen klopfte noch nicht einmal an, als sie an die Tür des Fürsten kam, sondern stürzte in sein Gemach, als wäre es ihr eigenes Zimmer.
»Liebster!«, rief sie, dann schloss sie die Tür hinter sich.
Wilhelmine überlegte kurz, ihr Ohr an das dicke Holz zu legen, doch es wäre ihr unwürdig erschienen, wenn einer der Bediensteten sie so angetroffen hätte. Die Fürstin im Nachthemd an der Tür ihres Ehegatten lauschend. Diese Geschichte würde sich sicher in Windeseile am Hof verbreiten und sie zum Gespött aller machen.
Als sie sich umblickte, kam ihr ein anderer Gedanke. Das Schloss verfügte über ein weitverzweigtes Ofensystem. Im Schlafgemach des Fürsten befand sich ein eigener Kamin, von dem einige Rohre in die benachbarten Zimmer geleitet wurden. Dasselbe Heizprinzip war auch in ihren Räumen installiert, das hatte ihr ein Diener erklärt, als sie sich über die angenehme Wärme in ihrem Bad gewundert hatte. Solch eine moderne Einrichtung hatte es an ihrem elterlichen Hof nicht gegeben. Und nun erfüllte sie neben den wohligen Temperaturen auch noch einen anderen Zweck, denn die Rohre übertrugen nicht nur die Kaminhitze, sondern auch jedes Geräusch.
Also schlich Wilhelmine sich durch das Ankleidezimmer bis ins Bad des Fürsten. Dort angekommen, verriegelte sie beide Türen. Sollte von außen jemand hereinwollen, würde er denken, der Fürst sei gerade bei der Toilette. Und wenn Carl Edzard vor verschlossener Tür stand, könnte sie einfach durchs Ankleidezimmer flüchten und das Ganze so aussehen lassen, als habe einer der Bediensteten fälschlicherweise den Riegel vorgeschoben.
Der Marmor an den Wänden war hier
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